Die Klamurke Sprachliches

Der politische Diskurs

Der politische Diskurs scheint, wenn man in Betracht zieht, wie viele Bücher, Artikel, Doktorarbeiten zu diesem Thema geschrieben werden, eine außerordentlich wichtige und vor allem auch komplizierte Sache zu sein.

Ich schaute mir das denn mal näher an und kam zu dem Schluß, daß det in Wirklichkeit aber doch gar nicht so kompliziert ist, sondern im Gegenteil recht einfach; und daß die vielen Bücher, Artikel und Doktorarbeiten wohl nur deswegen geschrieben werden, weil man es für nötig findet, zu solch – wie man offenbar findet – hehrem Thema möglichst viele und möglichst komplizierte Worte zu machen.

Bei näherer Betrachtung erscheint der politische Diskurs als ein ganz gewöhnlicher Jargon, der sich dem Wesen nach in nichts von anderen Jargons unterscheidet und sich gemeinsam mit ihnen gegenüber der eigentlichen Sprache abgrenzt.

Im Nachfolgenden Auszüge aus ein paar Briefen zu diesem Thema:

Von kaputten Maschinen und kaputter Politik

11. November 2006

[…]

Ich will nun mal anhand von zwei Beispielen versuchen, den Unterschied zwischen normaler Sprache und politischem Diskurs, wie ich ihn sehe, griffiger zu machen.

Also:

Nehmen wir an, in einer Fabrik ist eine Maschine kaputt, und die Produktion steht still.

Daß die Produktion stillsteht, ist für alle mittelbar und unmittelbar Beteiligten schlecht; und nun kommen die ganzen Techniker zusammen, die für diese Maschine zuständig sind und beratschlagen, was zu tun ist.

Bei diesen Technikern handelt es sich um Leute, welche

a) sich mit der zu reparierenden Maschine auskennen und wissen, wie ihre einzelnen Teile aufeinanderwirken; denn sie haben das gelernt und haben Tag für Tag mit dieser Maschine zu tun.

b) weder durch äußere noch innere Schranken daran gehindert sind, die Dinge so zu sehen und zu beschreiben, wie sie sind: Ein gerissenes Kabel dürfen sie als gerissenes Kabel sehen und bezeichnen, eine verbogene Pleuelstange als verbogene Pleuelstange

c) daran interessiert sind, daß die Maschine möglichst schnell wieder in Gang kommt.

So viel zu den Technikern und ihrer Maschine, die sie zu reparieren haben.

***

Kommen wir nun zu den Politikern mitsamt politisierenden Journalisten.

Nehmen wir an, es gibt da irgendein Problem. Einleitend sei aber noch angemerkt, daß in der Politik die Probleme in der Regel recht verwaschen dargestellt werden oder daß es sich auch einfach bloß um – etwa aus parteipolitischen Gründen heraus konstruierte – Scheinprobleme handelt (die weiter unten skizzierten Tatsachen spielen hier nämlich bereits bei der Darstellung des Problems selbst eine Rolle). Doch das ist ein Kapitel für sich; werden wir uns später drum kümmern.

Nehmen wir also an: da gibt es im sogenannten „politischen Leben“ irgendein Problem. Und nun kommen die Politiker mitsamt politisierenden Journalisten der verschiedensten Richtungen zusammen und beratschlagen, was zu tun ist.

Die Bedingungen sind hier aber deutlich andere als bei den Technikern, welche die Maschine reparieren wollen:

a) Unter diesen Politikern und politisierenden Journalisten können sich durchaus Leute finden, welche in dem behandelten Problembereich über mehr oder weniger fundierte Kenntnisse verfügen; doch das ist nicht die Regel, da die Besetzung verantwortlicher Stellen im politischen Bereich nicht auf Grundlage von Fähigkeiten zustandekommt, sondern nach ganz anderen Kriterien (eine Fabrikleitung wird – allein schon aus Gründen der Selbsterhaltung – nie einen Techniker an eine Maschine lassen, der von dieser Maschine keine Ahnung hat; während es in der Politik durchaus möglich ist, daß, sagen wir, jemand Verteidigungsminister wird, der „eine Landkarte nicht von einem Teppichmuster unterscheiden kann“). – Nehmen wir mal an, es gibt da ein paar Leute, die sich auskennen; solches kann, trotz allem, immer mal passieren; doch auch diejenigen, die sich nicht auskennen, wollen doch aber mitreden, da sie ja immerhin an verantwortungsvoller Position sich befinden und verpflichtet sind, etwas zu sagen. Und so reden sie denn… („denn eben, wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein…“). Da sie sich nicht auskennen, entsteht ein furchtbarer Wörterbrei, der das – unter Umständen aus weiter oben erwähnten Gründen eh ungenügend klar gefaßte – Problem vernebelt oder weiter vernebelt. Hier haben wir bereits einen sehr gewichtigen Faktor, der zu dieser ganz spezifischen Sprache, spezifischen Jargon des „politischen Diskurs“ führt.

b) Nehmen wir an, daß, allen Hindernissen zum Trotz, zumindest vereinzelte Elemente und Lösungsmöglichkeiten des behandelten Problemkomplexes sichtbar werden. Der Techniker an der Maschine hat da keine Probleme; für den ist eine verbogene Pleuelstange eine verbogene Pleuelstange und wird als solche behandelt. In der Politik aber herrschen andere Kriterien. Parteigesichtspunkte zum Beispiel: Für die Pleuelstange war unsere Partei zuständig, und wir dürfen somit auf keinen Fall zugeben, daß der Fehler in der Pleuelstange liegt. Besser, wenn wir darauf bestehen, den Fehler in einem gerissenen Kabel zu sehen; denn für die Verkabelung war die Opposition zuständig. – Objektivität ist, streng genommen, hier eigentlich die Ausnahme; im Grunde ist man dauernd am Lügen, und so sehr ist man am Lügen, daß man schon gar nicht mehr merkt, daß man lügt: Wahr ist, was der Partei nützt. – Hier haben wir denn, knapp skizziert, einen weiteren Faktor, der „die Sprache“, den Jargon und die Logik des politischen Diskurses bestimmt.

c) Woran die einzelnen Teilnehmer der Beratung interessiert sind – weiß der Teufel; die wenigsten wohl an einer Lösung des Problems. Oder höchstens insofern an einer Lösung des Problems, als dies für den Betreffenden selbst und seine Partei von Vorteil sein könnte. Doch solcher Vorteil läßt sich auch aus einer Scheinlösung gewinnen: es reicht, wenn man so tut, als sei das Problem gelöst; und die Aufgabe besteht darin, dies möglichst publikumswirksam darzustellen. Und da eh bereits alles so verworren ist, daß kaum noch einer unterscheiden kann zwischen echter Lösung und Scheinlösung – hat man zumindest damit weiter keine Probleme. – Ein weiterer gewichtiger Faktor, der den Charakter des „politischen Diskurses“ prägt.

Worin unterscheidet sich denn nun der politische Diskurs von der normalen Sprache? Dadurch, daß es sich hier um eine ganz besondere Art des Lügens und der Nebelverbreitung handelt.

[...]

Der politische Diskurs als überhöht betrachteter Jargon

7. November 2006

Ich unterscheide zwischen aus dem Inhalt sich entwickelnder, inhaltsgesättigter Sprache einerseits […] und inhaltsleerem Gerede, Phrase, Floskel, Jargon andererseits. (von der Substanz der Sprache ist man heutzutage, wie mir scheint, weiter denn je entfernt; deshalb ist das recht ungewohnt; und ich müßte sehr weit ausholen, um es genauer zu erklären… Lassen wir das mal so stehen; vermutlich empfindest du, was ich meine). […]

Wirklich inhaltsgesättigte Sprache bezieht sich auf alle Bereiche des Lebens und ist in dieser Hinsicht allgemein: Familienstreitigkeiten, Landwirtschaft, Bettgeflüster, Mathematik, soziale Prozesse, seelische Entwicklung – selbst die schwierigsten Probleme lassen sich von dem, der sie durchschaut, in die Sprache bringen, mit Worten der Sprache erklären. Und auch wenn man etwa in der Mathematik mit einer anderen Begrifflichkeit zu tun hat als, zum Beispiel, bei der Aufführung eines Theaterstücks, so lebt man doch im gleichen Reich der Begriffe und der Sprache. – Gleichzeitig ist wirklich inhaltsgesättigte Sprache aber auch individuell: Jemand, der aus einem lebendigen Verstehen heraus spricht oder schreibt, entwickelt dabei ganz automatisch, ob er will oder nicht, seine eigene „Sprachgestik“, seine eigene Ausdrucksweise.

Daneben entwickeln sich aber, gewissermaßen als Sprachsurrogate, die verschiedensten Jargons, mit sinnentleerten Ausdrücken, die man gewohnheitsmäßig wiederholt, ohne sich was dabei zu denken. Häufig hängen solche Jargons mit sektenähnlichen Gemeinschaften zusammen (politische Parteien, religiöse oder esoterische Gemeinschaften) oder sind sonstwie milieubedingt.

[…]

So weit mal das Vorspann: Sprache und Sprachsurrogat.

Der Rest ist recht einfach und läßt sich knapp zusammenfassen:

Es bildeten sich also, neben der Sprache, die verschiedensten Jargons heraus; und einer dieser Jargons: Der Jargon der Politiker und politisierenden Journalisten. In Einzelheiten variiert dieser Jargon über die verschiedenen politischen Richtungen hin; in seinen wesentlichen Grundzügen ist er aber überall gleich (sozusagen: politisierende Schwafler aller Länder – vereinigt euch!)

Und da es üblich ist, die Politik als etwas ganz besonders wichtiges zu betrachten, nimmt man nun diesen Politikerjargon als etwas Separates und stellt ihn, eben, als etwas Separates neben die eigentliche Sprache. Er steht ja auch, als Jargon, neben der eigentlichen Sprache: als Mißbildung; und diese Mißbildung unterscheidet sich in ihrem Wesen nicht von anderen Jargons oder Mißbildungen; aber was das nun mal die Sprache der Politiker und der politisierenden Journalisten ist, nimmt man es natürlich nicht als Krankheit, sondern als irgendwas sehr wichtiges und normales und nennt es „politischer Diskurs“.

In dieser Sprache oder „Sprache“ halten dann Politiker ihre Reden, spricht man vom „Willen“ dieser oder jener Partei, und so weiter.

Daneben gibt es natürlich die normalen, nicht oder zumindest weniger verdorbenen Menschen, die in normaler, inhaltsvoller Sprache über soziale Prozesse, soziale Gesetzmäßigkeiten usw… sprechen. Denn man kann durchaus in ganz normaler Sprache über diese Dinge reden (während der politische Jargon, der „politische Diskurs“, eigentlich über nichts spricht und die Realität höchstens mal leicht streift)

[...]

Vom verschleiernden Blödsinn

22. August 2006

[…]

Was „politischer Diskurs“ ist – versteh ich nicht. Ich weiß nicht einmal genau, was man heutzutage unter „Politik“ versteht und habe den Eindruck, daß man die allerverschiedensten Begriffe, manchmal auch überhaupt keinen Begriff, damit verbindet und daß man häufig, wenn man sich etwas dabei denkt, darunter dasjenige versteht, was man sonst mit dem Wort „Demagogie“ bezeichnet.

Wenn man in den deutschen Nachrichten herumliest, stößt man auch auf Berichte, wie die CDU, also eine dieser Parteien, auf der Suche ist nach ihrem Selbstverständnis. Und mich wundert schon nicht mehr im Geringsten, daß niemand merkt, wie absurd das ist.

Da ist also eine Vereinigung, eine Partei… Normalerweise und gesunderweise kommt eine solche Vereinigung zustande, wenn eine Gruppe von Menschen, die bestimmte Ziele verfolgen, sich zusammentun. Vielleicht kam auch die CDU auf solche Weise zustande; ich weiß es nicht. Nehmen wir es mal an.

Und nun ist sie da…

Und „diese Vereinigung“ ist nun plötzlich auf der Suche nach „ihrem“ Selbstverständnis (Gänsefüßchen, weil nur einzelne Menschen nach ihrem „Selbstverständnis“ suchen können, aber nicht eine Vereinigung). Anders ausgedrückt: Man weiß nicht mehr so recht, welche Werte man eigentlich vertreten, welche Ziele man verfolgen soll…

Ja, aber… Wenn man nicht weiß, welche Werte man vertreten, welche Ziele man verfolgen soll – so bedeutet das doch, gottverdammtnochmal, daß der Sinn dieser Vereinigung sich erschöpft hat und daß man in Frieden auseinandergehen soll… Die Tatsache, daß man irgendwann mal eine solche Partei gegründet hat bedeutet doch nicht, daß es sie immer geben muß; oder?

Und nun versucht man, irgendwelche publikumswirksamen Werte und Ziele zu erfinden, die sich demagogisch verwerten lassen…

Ich versteh natürlich, daß das Ziel darin besteht, daß diejenigen, die sich in solcher Partei zusammenfinden, irgendwelche Vorteile bekommen; und dieses schwachsinnige Gerede vom „Ringen um Selbstverständnis“ verschleiert nur das, worum es im eigentlichen Sinne geht: das Streben nach Macht nämlich.

Menschen, die Werte vertreten, die ein Anliegen verfolgen, brauchen keine Partei. Die sagen, was sie denken, tun, was sie für richtig finden. Und wenn sie nichts mehr oder grad nichts zu sagen haben, schweigen sie; und wenn sie keine hehren Ziele mehr sehen, kümmern sie sich nicht mehr um hehre Ziele. – Wem aber hehre Ziele nur Mittel sind zum Erringen persönlicher Vorteile, der wird, wenn das Programm mit den bisherigen Werten und Zielen keinen Anklang mehr findet, irgendwelche neuen Ziele erfinden und an den Haaren herbeiziehen.

So absurd ist das alles… Extrem absurd… Man könnte über diese Absurdität eine Abhandlung schreiben, einen „Diskurs“… Doch wozu eigentlich?

[…]

[Nachbemerkung: Eine solche Abhandlung, oder besser noch: ein Zyklus von Abhandlungen, welche die verschleiernden Blödsinnselemente aus dem Politikerjargon zum Platzen bringen, wäre einerseits natürlich sinnvoll; dies könnte den „politischen Diskurs“ an seinen Platz verweisen und der normale menschliche Sprache und Logik zu ihrem Rechte verhelfen. Aber andererseits: wer liest denn sowas? Ich halte es sogar für wahrscheinlich, daß solche Abhandlungen bereits geschrieben wurden (da ich der hartnäckigen Überzeugung bin, daß es genügend denkende Zeitgenossen gibt, die diesen Unsinn durchschauen); aber eben: wer liest sie? Der Wörtersumpf ist stärker…]

Obige Notizen wurden, zusammen mit einigen weiteren zum Thema gehörenden Materialien, in einer PDF-Datei zusammengefasst, die man
hier
anschauen und herunterladen kann

Raymond Zoller