Die Klamurke Belletristik

Im Equus Lascivus1




Erste Skizzen zu jenem Rom-Zyklus, in dem es um eine durch Sklaven angetriebene Espressomaschine geht sowie um die Salanenkönigin Aita, die sich aus Masochismus in die Sklaverei verkaufen ließ, entstanden Anfang der neunziger Jahre. Von den Skizzen und fertigen Texten ging alles verschütt, außer dem „Vesuv“, dem „Untergang der Salanen“ sowie einer Auflistung beteiligter Gegenstände und Personen Die Verwirklichung frommer Absichten, verschüttgegangenes zu rekonstruieren und um noch nicht geschriebenes zu erweitern, wurde inzwischen immerhin in Angriff genommen.
In der vorangehenden Erzählung „Der Untergang der Salanen“ erleben wir, wie die Salanenkönigin Aita in einem Anfall von Masochismus den Befehl gibt, sie an einen zufällig im Lande weilenden Sklavenhändler zu verkaufen.
Der Sklavenhändler bringt sie in die Stadt Lutetium2, wo er sie an einen der Volksbelustigung dienenden Tempel namens „Equus Lascivus“ verkauft.
Im Nachfolgenden erleben wir Aita als Tempeltänzerin im „Equus Lascivus“.

Die Sklavinnen, welche im Equuus lascivus als Tempeltänzerinnen striptisus und sonstige kultische Tänze aufführten, taten dies zumeist – wie die späteren Germanen sich ausdrücken würden – unter Künstlernamen oder Pseudonym. Diese Namen wurden ihnen von der Tempelleitung zuerteilt; unter diesen Namen vollführten sie ihre Auftritte; und wie sie wirklich hießen, interessierte niemanden. Wie auch kaum jemand sich dafür interessierte, wie sie früher lebten und auf welchen Wegen sie in den Besitz des Tempels gelangt waren. Interessieren tat das höchstens jene Tempelbesucher, die für eine der Tänzerinnen in Leidenschaft entflammten; und wer in solcher Leidenschaft entflammte, der tat alles in seinen Kräften stehende, um das Objekt seiner Begierden dem Tempel abzukaufen; und manche von den solcherart entflammten wurden gar, um sich die nötigen Mittel zusammenzuschaffen, zu Straßenräubern. Wer aber nicht für eine einzelne Tänzerin in Leidenschaft entflammte, der erfrischte sich am Tanze und ging belebt und geläutert nach Hause.

Aita tanzte, im Gegensatz zu den übrigen Sklavinnen, ihren striptisus unter ihrem richtigen Namen; und wenn der Conférencier ihren Auftritt ankündigte, vergaß er nie zu betonen, daß sie noch bis vor kurzem als Aita I Königin der Salanen war und daß sie, um ihr Reich vor dem drohenden Bankrotte zu bewahren, sich von ihren Untertanen zugunsten der Staatskasse in die Sklaverei verkaufen ließ. Und da sie über alle Länder der Erde hin berühmt war für ihre Schönheit, habe das Equus Lascivus keine Kosten und Mühen gescheut, sie zum Besten ihrer Gäste käuflich zu erwerben.

Aita wußte natürlich, daß sie keineswegs durch Auffüllen der Staatskassen ihr Land gerettet hatte und daß der Erlös für ihren Verkauf, trotz der beträchtlichen Summe, im Staatsbudget keine merklichen Spuren hinterlassen hat. Und sie wußte auch, daß das Salanenreich genau zwei Wochen, nachdem sie es verlassen hatte, unterging; und zwar aus dem Grunde unterging, weil sie es auf der Suche nach dem erotischen Abenteuer im Stiche gelassen hatte. Doch tröstete sie sich mit dem Gedanken, daß ein Volk, welches so leicht untergeht, es wohl nicht wert ist, daß man im Dienste an seinen Interessen die persönlichen Bedürfnisse vernachlässigt.

Normalerweise empfand Aita starken Widerwillen gegenüber jeder Art von Lüge; doch in diesem Fall wußte sie, daß sowohl dem Conférencier wie auch dem Publikum der wahre Sachverhalt bekannt ist; und diese lockere, von allen durchschaute Flunkerei war für sie wie für das Publikum eine erotisierende Würze. Hätte sie sich tatsächlich dem Wohle ihres Landes geopfert, oder würde das Publikum glauben, sie habe sich dem Wohl ihres Landes geopfert, so würde dadurch die ganze Angelegenheit schal, fast mitleiderregend. Der allen bekannte wahre Sachverhalt aber: die egoistischen Willkür, mit der sie sich aus einer abgesicherten verantwortungsvollen Position heraus in die Macht der egoistischen Willkür anderer begab – tauchte ihren Auftritt in ein Feuerwerk prickelnder Frivolität. Mit seiner Flunkerei schaffte der Redner einen Kontrast, der dieses erregende Moment plastisch zur Wirkung brachte; und sie fand, daß das ein tüchtiger Mann ist, der seine Sache versteht, und überlegte gar, was sie ihm als Königin für ein Aufgabenfeld anvertraut hätte.

***

Aita tanzte striptisus...

Außer vor ihrer greisen Kammerdienerin, deren Obhut sie bereits als Kind anvertraut war, hatte Aita sich früher nie vor jemandem ausgezogen; abgesehen noch von dem halbwüchsigen Gehilfen des Wasserleitungsmeisters, der durch ein selbstgebohrtes Loch in der Badezimmerwand ihr manchmal beim Baden zuguckte. Aita hatte das zufällig bemerkt; hatte jedoch nichts gesagt und nur versteckt Vorkehrungen getroffen, damit niemand ihn bei seiner Guckerei erwische. Seitdem hatte sie das Baden viel mehr genossen als früher. – Dann hatte sie sich vor dem Sklavenhändler ausgezogen und vor Wilhelm Hasenvuß; und kurz darauf auf dem Marktplatz ihrer Hauptstadt vor dem ganzen Volke. – Als sie dann Sklavin war hatte man mehrfach Dinge mit ihr angestellt, zu denen sie sich vorher ausziehen mußte und die ihr sehr gefielen; doch das war immer nur in ganz kleinem Kreise gewesen.

Und nun tanzte sie vor gaffender Menge striptisus...

Wenn der Conférencier, nachdem er verstummt, durch umständliches Ziehen an einem Seil den Vorhang öffnete, erblickte man Aita in prunkvollen königlichen Gewändern auf einem Throne sitzend; in viel prunkvolleren Gewändern als damals, als sie noch Königin der Salanen war; denn als Königin verabscheute sie Prunk und kleidete sich bescheiden und einfach. Doch die königlichen Gewänder legte sie ja damals nicht an – außer dieses eine mal auf dem Podest – um sie auszuziehen, sondern um sie zu tragen. Im Equus Lascivus aber zog sie diesen Prunk nur deshalb an, um ihn vor aller Augen wieder abzulegen.

***

So sitzt sie in ihren prunkvollen Gewändern auf ihrem prunkvollen Throne; ein blaugekleideter Mohr schwingt einen gleichfalls blauen Fächer über ihrem Haupte; und Aita sitzt aufrecht auf ihrem Throne, den Kopf leicht geneigt, die Arme auf den Lehnen, und starrt gelangweilt vor sich hin.

Dann stützt sie den Kopf auf Zeige-und Mittelfinger der rechten Hand, schlägt die Beine übereinander und wendet sich an den Mohren:

„Sag mal, hast du keine Zigarette?“

Der Mohr erschrickt und schwingt noch eifriger seinen blauen Fächer: „Wie könnte ich Zigaretten haben, o Herrscherin,“ flüstert er. „Wo Eure Majestät doch verboten hat, im Palaste zu rauchen!“

„Ich hab nichts verboten,“ sagt die Königin sanft. „Das war der Hofmarschall. Der Hofmarschall erläßt ohne Unterlaß Anordnungen und Verbote, um zu zeigen, daß er noch da ist und daß er seine Arbeit macht. Denn er hat Angst, überflüssig zu sein und entlassen zu werden.“

„Aber es ist trotzdem verboten,“ antwortet der Mohr würdevoll und schwingt noch konzentrierter seinen Fächer.

„Doch hab ich mit eigenen Augen gesehen, wie du heimlich rauchtest,“ sagt Aita ungerührt. „Deshalb dachte ich, du könntest Zigaretten haben.“

Der Mohr schwingt noch schneller den Fächer; und gleichzeitig verneigt er sich vor seiner Königin und stottert: „Sollte ich gefrevelt haben, o Königin, so mag mich treffen deine strafende Hand...“

„Wenn du heimlich rauchst, so wirst du wohl auch Zigaretten haben,“ sagt die Königin. „Gib mir eine. Und tu nicht so kriecherisch. Gib mir eine Zigarette! Ich will rauchen!“

Der Mohr schwingt mit der Linken, weiter den Fächer, der dabei weit ausholend unkontrolliert in der Luft herumtorkelt, und mit seiner Rechten entnimmt er seiner Hosentasche eine Packung Zigaretten, die er seiner Königin entgegenhält. Die Königin nimmt sich eine Zigarette, führt sie zwischen die Lippen. „Hast du auch Feuer?“ frägt sie.

Der Mohr tut die Zigarettenpackung zurück in seine Tasche, zieht ein Feuerzeug hervor und gibt, mit der Linken unbeirrt weiter den torkelnden Fächer schwingend, seiner Königin Feuer.

Die Königin raucht, der Mohr schwingt den Fächer; und nun kommt ein Minister mit einer Pergamentrolle. Er verneigt sich, überreicht Aita die Rolle. Aita entrollt sie, wobei sie zwischen Zeige-und Mittelfinger die Zigarette hält, überfliegt sie und wirft sie achtlos beiseite.

Ein zweiter Minister kommt mit einer zweiten Pergamentrolle, die, entrollt und flüchtig gelesen, beiseitegeworfen wird; dann ein dritter Minister mit einer dritten, die ungeöffnet und ungelesen sich zu den ersten gesellt; und immer mehr Minister kommen mit immer mehr Pergamentrollen; bis sie schließlich den zehnten oder zwanzigsten, der geneigten Hauptes vor ihr steht, am Ohr zupft und frägt:

„Was soll dieses tote Papier! Lechzest du nicht nach dem Safte des Lebens?“

„So Ihr, unsere Königin, befehlt, daß ich nach dem Safte des Lebens lechze, so lechze ich!“ antwortet der Minister gehorsam.

„Den Durst nach dem Leben kann niemand befehlen,“ antwortet die Königin sachlich. Und, an die ganze Ministerversammlung gewandt, fährt sie fort: „Soll ich entzünden eure pergamentenen Seelen, aufdaß sie entflammen in lodernder Gier?“

„Entzünde, o Königin, was du geruhst zu entzünden!“ rufen die Minister im Chor. Sie wirken erstaunt und sehr verunsichert.

Sie steht auf, legt die Hände an die Hüften: „So ruft denn die Büttel!“

„Hat jemand gefehlt?“ frägt einer der Minister ängstlich.

„Nö, wieso? Wer kann hier denn fehlen? Zu ängstlich seid ihr zum Fehlen, ihr wagt keinen Schritt, den nicht ich befohlen..."

"Doch wozu dann die Büttel?" frägt ein anderer Minister.

"Du wagst es, meinen Befehl zu hinterfragen?" Verschmitzt schaut die Königin ihn an.

Der Minister sinkt in die Knie: "Verzeihet, o Herrscherin, die unbedacht gestellte Frage!"

"Und schon wieder verläßt dich der Mut," tadelt die Königin kopfschüttelnd den vor ihr knienden. "Wo deine Frage doch berechtigt ist. So du mir als Minister gewissenhaft dienen willst, mußt du meine Absichten kennen, und nichts darf dir verborgen bleiben. Drum will ich euch alles enthüllen."

"Enthüll uns, o Königin, was dich bewegt, und was als Programm in dem Busen du trägst," rufen die Minister im Chor.

"Ihr mit euren pergamentenen Programmen," schüttelt die Königin den Kopf. „Mein Busen ist für beßres gut als für Programme. Meinet ihr nicht?" Und sie zeigt sich kokett im Profil und beugt sich zurück; wobei ihre unter königlichen Gewändern versteckte Brüste sich anmutig hervorwölben.

"Wir meinen, was auch du meinest," deklamieren die Minister.

"Ihr seid unverbesserlich," sagt die Königin. „Und wie, wenn ich euch statt pergamentner Programme meinen Busen enthülle?“

„E-e-euren Busen...“ stottern die Minister.

„Meinen Busen,“ bestätigt die Königin und öffnet den obersten Knopf ihres Gewandes. "Und nun trommelt das Volk auf dem Marktplatz zusammen! Das Volk ist vernünftger als ihr..."

"Das Volk ist schon da!" sagt der Mohr und deutet mit seinem Fächer auf das Publikum.

Die Königin blickt kurz ins Publikum. "Sehr gut. Und nun holt die Büttel."

"Die Büttel werden geholt," sagt einer der Minister. "Doch wen sollen sie peinigen?"

"Sie sollen an mir, dem Volke zur Lust, ihre Kunst exerziern. Bereitet den Pranger, das Streckbett, die Ketten! Auf daß sie mein sündiges Fleisch maltraitier‘n, so wie sie’s gelernt; zu eurem Genuß und eurer Belebung!“

Sie beginnt zu tanzen. Während der ersten Bewegungen ihres Tanzes erscheinen zwei Büttel, die sich durch die Menge der Minister drängen und sich rechts und links von der Tanzenden mit verschränkten Armen aufstellen.

Schnalle um Schnalle öffnet sie das Oberteil ihres Kleides und hält mit Tanzen inne:

„Seid ihr bereit, meinem Befehle folgend, zu einem wehrlosen Objekt eurer Kunst mich zu machen, an den Pfahl mich zu ketten und, wie ihr’s gelernt, mich zu quälen? Meiner Brust saftge Schreie entlocken, die das Blut erwallen und die Sinne beleben? Die das Volk ergötzen und vom Tod im Papier zum Leben im Laster erhöhen? Seid ihr bereit?“

„Wir sind bereit, o Königin!“ antworten die Büttel.

„Was nennt ihr mich Königin? Was soll der kriecherische Ton? Seid ihr Büttel oder Kammerdiener?“

Sie streift das Oberteil ab, und anmutig wölben sich unter knappem durchschimmerndem Stoff ihre Brüste. „Seh ich etwa aus wie eine Königin?“

Die Büttel mustern sie nun ungeniert.

„Von uns aus kann‘s losgehen,“ sagt der Büttel zur Linken.

„Ich bin in eurer Gewalt. Waltet eures Amtes,“ sagt Aita.

Die beiden Büttel schauen sich kurz, wie fragend, an. Aita blickt hinüber zu einer Gruppe Musikanten und lächelt ihnen verschmitzt zu.

Die Musikanten beginnen zu spielen. Zum Klang ihrer Trommeln und Flöten wiegt Aita, die Hände an der Taille, leise die Hüften.

„Bist du bereit?“ frägt der Büttel zur Rechten streng.

„Sagt‘ ich doch, daß ich bereit bin“ antwortet Aita. Fast beleidigt klingt es.

„Ausziehen!“ kommandiert der Büttel.

Energischer trommeln die Trommeln; unter laszivem Schlängeln entledigt Aita sich ihres Kleides und nach und nach des restlichen Stoffes, der ihren Körper bedeckt hält.

Wie die letzte Hülle gefallen ist läßt sie sich willig von den Bütteln packen und in Ketten legen; und was dann weiter passiert läßt sich mit Worten nicht beschreiben und sei der Phantasie des Lesers überlassen.



1) Die Angelsachsen würden sagen: Crazy Horse
2) Heute: Paris

Und nun begeben wir uns in einem gewagten Sprung, hinweg über noch nicht geschriebene, noch nicht fertig geschriebene oder verlorengegangene Zwischenstufen nach Rom, wo wir die einstige Königin und Tempeltänzerin Aita als allseits geachtete Pädagogin wiederfinden bzw. bereits als Sklavin ihres einstigen Zöglings: Der Vesuv




© Raymond Zoller