Die Klamurke Belletristik

Der Untergang der Salanen

In den Jahren bis zu jenem denkwürdigen Ereignis, in dessen Folge die Salanen sich von der Schwalbenlinie zurückzogen und ihr Reich spurlos unterging, wurden sie regiert von Königin Aita I; und die war von solchem Liebreiz, daß so manchem von den Gesandten, die aus fernen Reichen am Salanenhofe zusammenströmten, der Atem stockte und daß er dachte, wie schön es doch wäre, wenn er zu Hause auch eine solche Königin hätte.

Mit Recht waren die Salanen stolz auf ihre Königin; und nicht nur schön war Aita I, sondern zudem von solch hehrer Weisheit und Umsicht, daß unter ihrer Führung das Reich gedieh wie nie zuvor.

Zwar liebten nicht alle Salanen ihre Königin; doch wie hätte sie es, bei all ihrer Weisheit, auch schaffen können, es jedem einzelnen ihren Untertanen recht zu machen; und sogar wissen wir aus der Geschichte, daß, je weiser jemand ist, er umso stärker überall aneckt. Und in der Tat gab es nicht wenige, die einen heimlichen Groll hegten gegen ihre Königin und insgeheim den Tag der Abrechnung herbeisehnten. Zu diesen letzteren gehörte zum Beispiel Wilhelm Hasenvuß. Wilhelm Hasenvuß hatte seinerzeit ein Heldenepos geschrieben, darin der damals noch amtierende Lorino III, Aitas Vater, eine gar rühmliche Rolle spielte; woraufhin ihn der dankbare König zum General ernannt hatte. Nach Aitas Thronbesteigung hatte er dann auch für sie ein Epos geschrieben; doch statt der erwarteten Dankbarkeit hatte die neue Königin ihn darob sofort seines Amtes enthoben und ihm dafür die Empfehlung für den Posten eines Amtsschreibers ausgestellt, darin sie besonders seine "anmutig geschwungene und gut leserliche Handschrift" hervorhob.

Aus Aitas Tagebuchaufzeichnungen, die nach ihrem merkwürdigen Verschwinden aufgefunden wurden, geht hervor, welch großartige Hilfe die Überreichung dieses "analphabetischen, schmalztriefenden Machwerks" für sie bedeutete. Denn es lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Zustand der Armeeführung, wo es "von widerlichen Schmeichlern und Karrieremachern nur so wimmelte" und wo "fähige Leute, die aufrecht und um der Sache willen ihren Dienst getan hätten, völlig fehlten".

Nachfolger von Wilhelm Hasenvuß wurde damals Stefan Krox. Stefan Krox arbeitete, bevor er überraschend zum General ernannt wurde, als Schafhirte. In seinem neuen Aufgabenbereich fand er sich schnell zurecht, und dank seinem feldmännischen Geschick gelang es bis zu seiner Absetzung keinem feindlichen Soldaten, auch nur einen Fuß über die salanische Grenze zu setzen.

Die Ernennung von Stefan Krox ging einfach und ganz ohne Pathos vor sich; ganz im Geiste der Königin Aita eigenen ungezwungenen Sachlichkeit. Anläßlich eines Spaziergangs hatte Aita ihn zufällig bei seiner Tätigkeit beobachtet und dabei den Eindruck gewonnen, "daß das ein aufrechter und intelligenter Mensch ist, der die Fähigkeit hat, große Massen zu überblicken und zu lenken". Wobei sie sich im Klaren war, daß "das Führen einer Armee höhere Anforderungen stellt als das Zusammenhalten einer Schafherde"; jedoch fand sie, daß dieser Schafhirte "ganz sicher mehr kann als der tintenklecksende Schmeichler Hasenvuß" und daß er "wirkt wie jemand, in dem noch ungenutzte Reserven schlummern."

So wurde Stefan Krox zum Oberbefehlshaber der salanischen Armee ernannt; und er entwickelte alsbald schon ein solches Geschick, daß selbst Heerführer aus fernen Reichen ins Land der Salanen kamen, um bei ihm zu lernen. Unter seiner Führung ward in kürzester Zeit aus dem schlaff darniederliegenden salanischen Heer eine wohlorganisierte Streitmacht. Energisch und zielsicher widmete Stefan Krox sich seinen zahlreichen Aufgaben und entwickelte dabei Fähigkeiten, wie er sie als Schafhirte nie gebraucht und auch nicht entwickelt hätte; doch im Umgang blieb er leutselig und bescheiden, als sei er immer noch in seinem alten Berufe. Ehrgeiz schien ihm fremd; und zudem machte er keinen Hehl aus seiner Überzeugung, daß der Soldatenberuf seiner Natur nach ein zeitbedingtes Absurdum ist, von dem er hoffe, daß es ihn bald nicht mehr zu geben braucht, und daß er es nicht verstehen kann, wieso Menschen es immer wieder darauf anlegen, "sich gegenseitig die Köppe einzuhauen". Da aber zur Zeit an eine Abschaffung der Armee nicht zu denken sei, so sei es nur billig, daß man eine richtige Armee hat und nicht etwas, was bloß so heißt. Und so steckte er seine ganze Kraft in den Aufbau der Armee. Als General war er klar und streng; und fast alle achteten ihn. Unter denjenigen, die ihn nicht achteten und insgeheim auf Abrechnung hofften, war zum Beispiel Wilhelm Hasenvuß, dessen Posten er eingenommen hatte; aber auch viele ehemalige Untergebene, die er wegen Untauglichkeit hatte entlassen müssen, waren ihm feindlich gesinnt. Gleich Königin Aita hatte er einen sicheren Blick für ungenutzte Reserven, die in einem Menschen schlummern; und wo es darum ging, einen verantwortungsvollen Posten zu besetzen, da war es für ihn am wichtigsten, ob solche Reserven erkennbar sind und ob man helfen kann, sie zur Entfaltung zu bringen. - So saß er einst vor seinem Haus an der Sonne und ruhte sich aus, als ein reisender Kesselflicker vorbeizog. Zufällig fiel sein Blick auf das Gesicht des Mannes. Er stutzte; stand auf; sprach ihn an; und nach kurzer Unterhaltung übertrug er ihm den Auftrag, sich um die Wasserversorgung in den Kasernen zu kümmern. Zwei Monate später hatte dieser einstige Kesselflicker die Oberaufsicht für die Wasserversorgung im gesamten Salanenreiche inne und bewährte sich dabei auf das Beste: wie ausnahmslos alle sich bewährten, die der unbestechliche Blick des Stefan Krox auserwählte.

Mit solcher Personalpolitik bewegte er sich auf gleicher Linie mit Königin Aita. In ihren Aufzeichnungen bemerkt sie irgendwo, daß "fähige und einsatzwillige Menschen die Neigung haben, Aufgaben, die es zu delegieren gilt, an gleichfalls Fähige und Einsatzwillige weiterzugeben"; und weiter, daß "nur der Fähige und Redliche die Möglichkeit hat, tatsächliche Fähigkeiten von vorgegebenen Fähigkeiten zu unterscheiden; daß der Dummkopf dagegen sich an Äußerlichkeiten festklammert und in seinem Machtstreben sowieso dazu neigt, solche um sich zu versammeln, die schwächer sind als er, da die sich leichter beherrschen lassen. Der Fähige und Aufrechte aber will nicht herrschen, sondern als Freier unter Freien wirken und sich entwickeln." Und gleich Stefan Krox träumte sie davon, daß der Tag komme, wo ihr Beruf überflüssig wird: "Da der Fähige den Fähigen anzieht und fördert, müßte sich eine Kettenreaktion an Entwicklung von Fähigkeit und Aufrechte denken lassen, die schlußendlich dazu führt, daß die Menschen sich füreinander öffnen und ihre Belange selbst in die Hand nehmen." - Doch davon war es noch weit entfernt; und nicht überall hatte sie solches Glück wie mit der Armeeführung. Man muß mit den Menschen vorlieb nehmen, die da sind; und nicht jeder ist ein Stefan Krox.

Und dann begann die sogenannte Krombach-Offensive, die in eine vielmonatige Belagerung ausartete und das Salanenreich vor eine harte Belastungsprobe stellte. Doch die von Stefan Krox reorganisierte und geführte Armee bewährte sich auf das beste. Schon machten die Feinde Anstalten, sich von der Schwalbenlinie zurückzuziehen - als in Gestalt eines reisenden Sklavenhändlers über das Salanenreich mit ganzer Gewalt das Verhängnis hereinbrach.

An jenem Tage erschien ein Bediensteter in den Gemächern von Königin Aita und meldete einen Händler, der um Audienz bitte. "Ein Händler?" - fragte die Königin leutselig. "Will er was verkaufen?" - "Nein," antwortete der Bedienstete knapp. "Er will etwas kaufen. Salaninnen." - "Salaninnen?" Königin Aita stutzte. "Ein Sklavenhändler also. Oder ein Mädchenhändler. Daß es sowas heute noch gibt... Nun gut; führen Sie ihn herein."

Königin Aita verabscheute den Sklavenhandel; und eine ihrer ersten Amtshandlungen war es gewesen, in ihrem Reiche die Sklaverei abzuschaffen. Doch andererseits empfand sie stets lebhaftes Interesse an den Menschen und ihren vielgestaltigen Schicksalen und Tätigkeiten; so daß sie keinen Moment zögerte, diesen Menschen mit dem unmenschlichen Berufe zu empfangen und sich mit ihm zu unterhalten.

Der Mann, der kurz darauf vor Aitas Thron trat, hatte ein edles Gesicht, ohne die geringste Spur von Gemeinheit. Er verneigte sich kurz, schaute der Königin, leicht fragend, in die Augen, und bemerkte:

"Man sagte mir, das Hofzeremoniell sei abgeschafft an Ihrem Hofe."

"Das ist so,“ lächelte die Königin. „Tun Sie sich keinen Zwang an. Es störte mich, wie unter der glatten Fassade des Zeremoniells kleinkarierte sumpfige Gemeinheit wütete; und deshalb schaffte ich das alles ab und bemühte mich dafür, anständige und intelligente Menschen am Hofe zusammenzuziehen. Die sollen sich so geben, wie sie sind, und, indem sie sich so geben, wie sie sind, natürliche und lebendige Formen schaffen."

"Eine gesunde Philosophie," bemerkte der Sklavenhändler. "Ich merkte übrigens gleich, als ich Ihr Reich betrat, daß man bei Ihnen freier atmen kann als sonstwo. Die Menschen gehen aufrecht; ihr Blick ist klar. Besonders den Frauen steht das gut zu Gesicht."

"Sie wollen welche kaufen," lachte Königin Aita. "Ich weiß."

"Ihr Mitarbeiter hat es Ihnen also bereits ausgerichtet…." Der Sklavenhändler zog ein Zigarettenetui aus der Tasche. "Darf man rauchen?"

"Bitte," nickte die Königin. "Es freut mich übrigens, daß Sie Herrn Brunkmann als meinen Mitarbeiter bezeichnen. Eine solche Bezeichnung ist leider noch nicht üblich."

"Ich arbeitete selbst eine Zeitlang als König…." Der Gast zündete sich eine Zigarette an. "Das maskenhafte Lakaientum um mich herum ekelte mich an. Bei Ihrem Herrn Brunkmann nun sah ich sofort, daß das kein Lakai ist, sondern ganz einfach ein Mensch, der ohne Aufhebens die ihm anvertraute Arbeit ausführt und dabei weder seine eigene Würde verletzt noch die Würde seiner Mitmenschen. Und da fiel mir kein anderer Ausdruck ein als "Mitarbeiter".

Aita schien nicht im geringsten erstaunt, daß ihr Gegenüber ein ehemaliger König ist. "Aber warum haben Sie dann nicht versucht, in Ihrem Reiche das Lakaientum abzuschaffen?“ fragte sie. „Wenn die Menschen nicht aus eigener Kraft zu ihrer Würde finden, so muß man ihnen dabei helfen. Denn eben hierzu ist man doch König…."

"Ich habe das seinerzeit etwas anders gelernt," bemerkte der ehemalige König. "Doch Ihre Sichtweise gefällt mir, und im Wesentlichen haben Sie sicher recht."

"Auch mir hat man über die Pflichten des Monarchen ganz was anderes beigebracht," lächelte Königin Aita. "Aber was soll man sein ganzes Leben in dem steckenbleiben, was einem in der Jugend beigebracht wurde? – Und darf man fragen, warum Sie heute nicht mehr König sind?"

"Weil ich mich absetzte," antwortete der Mann. "Es wurde mir in dem Palaste zu eng."

"Einfach geflüchtet sind sie?" staunte Königin Aita. "Und Ihr Reich haben Sie im Stich gelassen?"

„Ich hatte damals nicht den Eindruck, als ob ich irgendwas im Stiche lasse,“ winkte der ehemalige König ab. „Wichtige Aufgaben sah ich keine. Auf dem Thron sitzen und sich von irgendwelchen Kriechern bedienen lassen? Ist doch langweilig! So sah ich das zumindest damals, weil ich es nicht besser gelernt hatte. Aber bei Ihnen sehe ich nun, daß man sich über das Gelernte erheben und dabei selbst als König seine Aufgabe finden kann."

"So ist es," lächelte Königin Aita. "Sie setzten sich also ab. Und wie kamen Sie dann zum Sklavenhandel?"

"Eigentlich bin ich kein allgemeiner Sklavenhändler," verbesserte der Mann. "Ich bin Mädchenhändler. Das ist ein Unterschied."

"Wieso Unterschied? Sie handeln mit der Verfügungsgewalt über die Körper lebender Menschen. Das ist doch egal, ob Mann oder Frau?"

"Nicht ganz," lächelte der ehemalige König. "Von einem gewissen höheren Gesichtspunkt aus haben Sie natürlich recht; und ich will nicht verhehlen, daß mir dieser Gesichtspunkt zugänglich ist. Betrachtet man die Sache hingegen psychologisch, so sieht es etwas anders aus. Sie dürfen nämlich nicht vergessen, daß die männliche und die weibliche Psyche sich sehr voneinander unterscheiden und daß die Einstellung der Frau zum physischen Ausgeliefertsein eine ganz andere ist als die des Mannes."

"Darüber habe ich noch nicht nachgedacht," sagte Königin Aita.

"Wie sollen Sie auch darüber nachdenken," bemerkte der Händler gutmütig. "Bei der Einstellung, die Sie Ihrer Aufgabe als Königin gegenüber entwickelt haben, sind Sie darauf angewiesen, sich dauernd auf höchster geistiger Ebene zu bewegen und können nicht auch noch den Blick entwickeln für die Niederungen der menschlichen Psyche. Sie sind ja fast eine Heilige!"

"Der Zugang zu den Niederungen geht mir nicht ab; und nicht selten dachte ich, sie insgeheim zu erkunden.“ Königin Aita errötete. „Doch Sie haben recht: Die Aufgabe als Königin, so wie ich sie verstehe, fordert vollen inneren und äußeren Einsatz; für die Niederungen bleibt da weder Zeit noch Kraft. Aber vielleicht können Sie doch einiges erzählen. Sie scheinen Ihrer Sache sicher; und das macht mich neugierig. Immerhin scheinen Sie über eine gewisse innere Weite zu verfügen und dürften somit in der Lage sein, die Niederungen von der Höhe aus zu schildern."

"Nichts ist widerlicher, als wenn die Niederungen selber anfangen zu sprechen..." Der Sklavenhändler schnitt eine Grimasse. "Wie Quaken aus dem Sumpfe klingt's. Nur der ist des Lasters würdig, der sich in freiem Fluge darüber zu erheben vermag. Unwürdiger als alles andere ist die innere Versklavung."

"Klingt überzeugend," sagte Königin Aita.

"Als König war ich Gefangener eines öden Zeremoniells,“ fuhr der ehemalige König fort. „Und nicht minder gefangen war ich darin als diejenigen, die mir dem äußeren Scheine nach dienten. Und diejenigen, die mir zu dienen schienen, dienten in Wirklichkeit nicht mir, sondern, gemeinsam mit mir, irgendwelchen unreflektierten Traditionen und stumpfsinnigem Ritual. Das war mir damals nicht in dem Maße bewußt wie heute; damals spürte ich nur, daß irgendwas nicht stimmt und daß ich innerlich wie in einem morastigen Brei feststecke. Mich irgendwas Sinnvollem, der Allgemeinheit dienendem zu widmen wäre mir in diesem Brei nicht möglich gewesen; doch nach sinnvollem und menschenfreundlichem stand mir damals sowieso nicht der Sinn: Ich wollte Licht, wollte an die frische Luft; alles andere interessierte mich nicht. Und dessen, was nach außen hin wie ‚meine Macht’ aussah, konnte ich nicht froh werden. – Die Kraft, mich rein innerlich, ohne Veränderung der äußeren Situation, über diesen Sumpf zu erheben, fehlte mir; und so blieb mir als einziger Ausweg nur die Flucht."

"Das kann ich verstehen," sagte Königin Aita nachdenklich.

"Sie sind stärker als ich," fuhr der ehemalige König fort; "ich kann nur bewundern, wie Sie es schafften, sich rein innerlich aus diesen Fesseln zu befreien und aus freier Überschau heraus ganz neue Dinge in die Welt zu setzen. Diese Kraft hatte ich nicht. Das Problem der Macht und des Ausgeliefertseins blieb als ungeklärtes Problem in mir zurück; ganz diffus und unbestimmt... Und da beschloß ich, Mädchenhändler zu werden und mich dem Problem zu stellen. "

"So ganz versteh ich noch nicht," bemerkte Königin Aita.

"Nun, das ist so….“ Der ehemalige König zündete sich eine neue Zigarette an. „Wissen Sie, es gibt Frauen, die blühen erst richtig auf in der Sklaverei. Das heißt, wenn man sie zu nehmen und zu führen weiß und wenn man ihre Würde wahrt... Männer gehen in der Sklaverei zugrunde; für sie ist das nichts... Ich war neugierig zu erleben, wie es ist, wenn ich außerhalb jenes Ritus reale Macht über Menschen habe. Ich hatte mir genügend Geld zurückgelegt; und sobald ich mich von meinem Königsposten befreit hatte, stellte ich ein paar Helfer ein und begann, über Land zu ziehen, um mein erstes Kontingent an Sklavinnen zusammenzukaufen. Die erste Frau, die ich kaufte, war eine achtzehnjährige Bauerntochter. Die Eltern waren arm; der Kaufpreis, den ich entrichtete, rettete sie vor dem Verhungern; und ich versprach ihnen, ihre Tochter irgendwo in einen orientalischen Harem zu verkaufen, damit sie was von der Welt sieht und auch genug zu essen bekommt. Die Tochter mußte sich vor meinen Augen nackt ausziehen und sich von allen Seiten zeigen; und dann bezahlte ich. Sie hatte ein edles Gesicht und einen schönen Körper; und in ihren Augen zitterte eine faszinierende Mischung aus Angst und Neugier. Und ich, der ich noch vor kurzem König war, spürte zum ersten Mal im Leben die Faszination der Macht. Meine Helfer legten ihr Ketten an; und wir nahmen sie mit."

"Und was ist aus ihr worden?" - fragte Königin Aita.

"Sie wurde Lehrerin," lachte der Mädchenhändler.

"Lehrerin?" Die Königin staunte.

"Warum soll sie nicht Lehrerin werden? Bei einer Rast stieß ein Kind zu uns, das sich verirrt hatte; und sie nahm sich seiner an. Das Kind zog mit uns weiter, lief neben ihr her; und sie, von meinen Leuten an der Kette geführt, unterhielt sich die ganze Zeit mit ihm. Bald ließ ich ihr die Ketten abnehmen; und wie ich mich eingehender mit ihr unterhielt, da erkannte ich in ihr einen Menschen mit großen Möglichkeiten; und gleichzeitig fiel mir die lamentable Lage der Schulen in meinem ehemaligen Reiche ein. Ich fragte sie, ob sie Lust hätte, eine eigene Schule aufzumachen; und sie antwortete, sie sei Sklavin und müsse tun, was ich befehle. Worauf ich antwortete, daß ich sie in einem solchen Fall natürlich freilassen würde, da man derartige Arbeit nur in eigener Verantwortung richtig ausüben könne. Wenn sie wolle könne ich ihr eine solche Möglichkeit verschaffen. - Sie überlegte und meinte dann, daß sie den Vorschlag nicht schlecht findet; jedoch wäre es ihr lieber, zuerst noch ein wenig die Welt zu sehen und was zu erleben. Ob sie nicht noch ein, zwei Jahre Sklavin bleiben könne? - So beließ ich sie in der Sklaverei und verkaufte sie schließlich einem Kollegen, der den Orient bereiste. Und drei Jahre später entdeckte ich sie zufällig auf einem Sklavenmarkt und kaufte sie zurück. Nebenbei bemerkt: mit großem Verlust. Sie hatte genug erlebt und war bereit, auf meinen Vorschlag von damals einzugehen. So zog ich mit ihr in mein ehemaliges Reich und schlug meinem Nachfolger vor, ihr bei der Gründung einer Schule behilflich zu sein; wozu dieser sofort bereit war. Ich ließ sie frei; und die Schule, die sie begründete, bekam schon bald einen ausgezeichneten Ruf."

„Interessant, wie Sie erst Sklavenhändler werden mußten, um die offenbar in Ihnen veranlagten Fähigkeiten zu freilassender Menschenführung zur Entfaltung zu bringen,“ lächelte Königin Aita, die das alles weiter nicht zu erstaunen schien. „Eigentlich wäre das Ihre Aufgabe als König gewesen...“

„Wie ich schon sagte: Als König war ich befangen in den Traditionen,“ antwortete der Sklavenhändler. „Ich hatte gelernt, was ein König ist und was er zu tun hat. Von freilassender Menschenführung hatte man mir nichts gesagt; und selbst wenn man mir irgendwas in dem Sinne mitgeteilt hätte, so wäre das, wie alles andere auch, nur ein Sammelsurium von Phrasen gewesen; Worthülsen, deren Substanz längst verweht ist.“

„Fürwahr ein erstaunlicher Weg!“ – rief die Königin. „Um Ihre Scheuklappen abzuwerfen und den Blick freizumachen für menschliche Werte, brauchten Sie den Umweg über die Erfahrungen eines solch unmenschlichen Berufes; und in der Ahnung eines Auswegs aus dem Dunkel schritten Sie mutig voran. Was für den Kleingeist zum saugenden Moraste wird, kann dem Edelgesinnten Rettung sein. Ich bin begeistert!“

„Und ich bin begeistert, wie schnell und treffend Sie mich verstanden haben,“ antwortete der ehemalige König.

„Doch dafür kann ich nicht verstehen, warum Sie, nachdem Sie durch die Erfahrungen jenes unmenschlichen Berufes Ihren Blick freimachen konnten für menschliche Werte, von solch schwierigem Erkenntnispfad nicht in menschenfreundlichere Gefilde abschwenken,“ sagte Königin Aita. „Und sogar Ihren alten Beruf könnten Sie nun mit neuem Inhalt füllen.“

„Sie sind selbst vom Fach und wissen sicher, daß es für einen König leichter ist, sich abzusetzen, als sich wieder einzusetzen.“ Der ehemalige König lachte. „Doch nicht hier liegt das Hauptproblem. Sache ist die, daß ich mich so ganz wohl fühle. Als Sklavenhändler ist man näher am Volk und hat ganz andere Möglichkeiten, einzugreifen und sich nützlich zu machen...“

„Zudem sind Sie ja nicht Sklavenhändler, sondern Mädchenhändler,“ lächelte Königin Aita. Und schüchtern fügte sie hinzu: „Könnten Sie sich vorstellen, mich zu verkaufen?“

„Sie?“ rief der Händler überrascht. „Wie soll ich das verstehen?“

„Konkret,“ antwortete Königin Aita, schon nicht mehr ganz so schüchtern. „Wenn Sie mich auf dem Markt anbieten würden – bekämen Sie einen guten Preis für mich?“

„Nun, immerhin sind Sie Königin,“ murmelte der ehemalige König.

„Na und? Auf dem Markt würden Sie mich natürlich nicht als Königin anbieten, sondern als Sklavin.... Sie setzten sich als König ab und wurden Mädchenhändler. Warum soll ich mich nicht als Königin absetzen und in die Sklaverei verkaufen lassen?“

„Das heißt, Sie meinen es im Ernst….“ Die Stimme des ehemaligen Königs klang wieder sicherer.

„Ich meine es ernst….“ Königin Aita errötete. „Als Sie vorhin sagten, es gebe Frauen, die erst in der Sklaverei richtig aufblühen – da verstand ich sofort, daß Sie Recht haben, und daß ich selbst auch zu dieser Sorte Frauen gehöre.“ Sie errötete noch mehr. „Wissen Sie, ich hab da so Phantasien...“

„Phantasien?“ Der Sklavenhändler schaute interessiert und verstehend.

„Ja eben, Phantasien...“ Königin Aita hatte einen hochroten Kopf. „Tagsüber regiere ich aufgrund meiner ererbten Macht das Salanenvolk; und nachts träume ich davon, mich selbst in den Krallen fremder Macht zu winden und fremder Willkür ausgeliefert zu sein... Die Macht, über die ich verfüge, seh ich als Aufgabe; und ich würde mir nie gestatten, sie als Instrument persönlicher Willkür zu mißbrauchen. Die Macht aber, in deren Krallen ich mich sehne, ist reine Willkür, und sie erregt mich.... Was meinen Sie: Bin ich zur Sklavin geeignet?“

„Zur Sklavin sind Sie geeignet,“ antwortete der Händler. „Nach dem, was Sie mir soeben sagten, kann daran kein Zweifel bestehen. Es fällt mir nur schwer anzunehmen, daß Sie es mit der geschilderten Absicht tatsächlich ernst meinen; doch geh ich bei meinen weiteren Darlegungen davon aus, daß dem so ist.“

„Ich meinte das völlig im Ernst,“ widersprach Königin Aita.

„Wie dem auch sei... Anbieten würde ich Sie entweder als Pädagogin, oder als Lustsklavin für anspruchsvollere Gemüter. Im Hinblick auf eine Verwendung als Lustsklavin müßten Ihre körperlichen Gegebenheiten noch einer näheren Begutachtung unterzogen werden; doch auch ohne diese Begutachtung vermute ich, daß Sie zur Güteklasse 1 gehören und daß Sie sich problemlos verkaufen ließen.“

„Die Staatskassen sind eh leer...“ murmelte Königin Aita nachdenklich. „Glauben Sie, daß ein Verkauf meiner Person sich stark in unserem Budget bemerkbar machen würde?“

„Der genaue Preis hängt von der Schätzung der körperlichen Gegebenheiten ab,“ antwortete der Händler. „Im Budget Ihres Landes wird er sich allerdings auch bei günstigster Schätzung wenig bemerkbar machen. Bemerkbar machen würde ein solcher von Ihnen – sei es im Ernst, sei es als Scherz – angedeuteter Schritt aber insofern, als Ihr Land in einer militärisch schwierigen Lage ist, in welcher ein Herrscherwechsel verheerende Folgen haben könnte.“

„Mein Nachfolger wird das schon machen…“ antwortete Königin Aita wegwerfend.

„Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Es wäre mir eine große Ehre und ein noch größeres Vergnügen, Sie in meinem Sortiment zu haben. Doch verfügen Sie, wie ich sehe, über überdurchschnittliche Fähigkeiten, wie man sie eher selten antrifft und wie man sie wohl auch bei Ihrem Nachfolger kaum vermuten dürfte. Vielleicht wäre es doch besser, diese Fähigkeiten zur Bewältigung der anstehenden Probleme zum Einsatz zu bringen? Wenn Sie wollen, daß man Sie in die Sklaverei verkauft, kann man das auch später noch machen. Ich laß Ihnen gern meine Visitenkarte da...“

„Ich will mich aber jetzt in den Abgrund stürzen und nicht später,“ widersprach Königin Aita trotzig. „Mein Vetter, der meine Nachfolge antreten wird, ist, ich geb’s zu, ein Säufer und Frauenheld; doch konnte ich während meiner Regierungszeit die entscheidenden Schaltstellen mit fähigen und verantwortungsbewußten Leuten besetzen, so daß er nichts falsch machen kann...“

„Außer, die fähigen und verantwortungsbewußten Leute durch seine Günstlinge ersetzen,“ seufzte der ehemalige König. „Doch verfügen Sie, wie es Ihnen recht ist; ich handle nach Ihrem Willen.“

„Wann können Sie mich schätzen?“

„Wenn Sie wollen, sofort.“

„Man soll nichts aufschieben. Ich laß den Amtsschreiber Hasenvuß holen, damit er alles notiert und den Kaufvertrag vorbereitet... Als General hat er nichts getaugt; aber er hat eine sehr schöne Handschrift...“

„Ist das etwa jener berühmte Wilhelm Hasenvuß? Von dem Fall hab ich gehört. Der ist, scheint's, nicht gut auf Sie zu sprechen?“

„Er haßt mich,“ lächelte Königin Aita. „Warum soll man ihm diese kleine Freude nicht gönnen? Ich will, daß er bei meiner Begutachtung dabei ist und daß Sie ihm alles diktieren. Und vergessen Sie während dieser Prozedur, daß ich Königin bin; behandeln Sie mich ungeniert als Ware...“

„Der Hasenvuß wird nicht bloß eine kleine Freude haben...“ grinste der ehemalige König.

„Und auch ich will mir solch herrliche Erfahrung beim Eintritt in eine neue Lebensphase nicht verwehren!“ rief Aita, sprang auf und drückte ihrem ehemaligen Kollegen einen Kuß auf den Mund.

„Als Sklavin werden Sie sicher genau so unübertroffen sein wie als Königin...“ Der Händler setzte sich auf den Thron und zog sie zu sich auf den Schoß. Aita ließ ihn kurz gewähren, dann machte sie sich frei und sprang auf die Füße.

„Lassen Sie mich; noch bin ich Königin,“ lachte sie. „Doch noch heute setz ich mich ab. Die letzte Verfügung während meiner Amtszeit wird lauten, daß man mich unmittelbar nach meiner Amtsniederlegung zu dem Preis, den Sie bei der Begutachtung mit Herrn Hasenvuß aushandeln werden, an Sie verkauft. Und das Zeremoniell der Übergabe in Ihre Verfügungsgewalt wird Herr Hasenvuß ausarbeiten.“

Und wenig später schon streifte Königin Aita in ihren Gemächern vor den Augen des Sklavenhändlers und des Amtsschreibers Hasenvuß ihre königlichen Gewänder ab sowie alles, was sie darunter am Leibe trug, und unterzog sich einer Überprüfung ihrer körperlichen Gegebenheiten. Mit fachmännischem Blicke taxierte der Händler die Rundungen ihres Körpers, mit sicherem Griffe betastete er ihre Brüste und Hüften und Schenkel und diktierte, was es zu sagen gab, dem willig schreibenden Amtsschreiber. Von dem Preis, den er anschließend mit dem hierzu bevollmächtigten Schreiber aushandelte, sagte er später, das sei die höchste Summe, die er je für einen Ankauf bezahlt habe und daß er es nur der geringschätzenden Haltung seines Verhandlungspartners gegenüber der Ware zu verdanken habe, daß er nicht noch viel mehr bezahlen mußte.

Und ein paar Stunden schon nach dieser Schätzung wurde Königin Aita vor den Augen ihres Volkes auf einem eilig aufgerichteten Podest nach dem genau so eilig von Wilhelm Hasenvuß ausgedachten Zeremoniell von dem Status der Königin in den Status der Sklavin überführt. In ihren königlichen Gewändern betrat sie das Podest, ermahnte ihr Volk, sich mit ihrem Nachfolger genau so gut zu vertragen wie mit ihr; und dann zog sie sich aus, ließ sich willig an einen Pfosten ketten und bekam von Wilhelm Hasenvuß persönlich mit einer Weidenrute mehrere Schläge übergezogen. Eigentlich hatte er sie auspeitschen wollen; doch hiergegen hatte der Händler Einspruch erhoben, da er nicht wollte, daß man seine Ware beschädige.

Nach der Exekution wurde sie, nackt wie sie war und in Ketten, in einen auf einer Trage stehenden Käfig gesteckt und davongetragen.

Und keine zwei Tage waren vergangen, da hatte ihr Vetter und Nachfolger, Lorino IV, sämtliche Schlüsselpositionen durch seine Günstlinge besetzt; und genau zwei Wochen, nachdem das Salanenvolk seine Königin auf deren eigenen Befehl hin in die Sklaverei verkauft hatten, ging es unter.

© Raymond Zoller

Zur russischen Fassung