Das Leben ist gar nicht so einfach...
Hindurch quälen wir uns zwischen immer morastiger werdendem Chaos und immer leerer werdender Perfektion.
Wozu das gut sein soll?
Schwer zu sagen.
Da man aber schon mal drinsteckt, sollte man vielleicht versuchen, sich zu orientieren...
Doch was heißt hier schon "sollte"... Zum Teufel mit allem "sollen"! Was soll man schon sollen? Iss doch Quatsch!
Ich meine: Solang man noch nicht völlig abgesackt ist, kann einen doch leicht mal so'n diffuses Bedürfnis beschleichen nach 'n bißchen Licht und Klarheit und Sinn... Kann ja passieren; oder? Wen solches nicht beschleicht - der ist natürlich nicht gemeint. Denn was soll man sich unnötig anstrengen; nich?
Im "Stern" sah ich eine Werbung von RTL: eine sich über zwei Seiten dahinstreckende Abbildung, auf welchselbiger grad jemand im Begriffe ist, ein nacktes weibliches Hinterteil zu küssen. Darunter in Fettschrift: "Wenn Sie etwas lehrreiches suchen, beobachten Sie Ameisen." Und darunter, etwas kleiner: "Wem berühmte Spielfilmklassiker wie Fellinis "Casanova" zu lebensfroh sind, dem empfehlen wir ein anderes Programm. Zum Beispiel das der Volkshochschule. Bei uns aber...usw...; und zum Schluß, wieder fett: "RTLPLUS. Gegen die Langeweile."
Kann man so sehen; sicher; ganz klar; wenn schon Fellini das sagt, der doch eine unbestreitbare Autorität ist; nicht; und wie gekonnt das doch gesagt ist; und wie schroff und unversöhnlich diese beiden Möglichkeiten sich gegenüberstehen; und wie ließe sich besser und urbildlicher die Situation unserer heutigen mitteleuropäischen Kultur zum Ausdrucke bringen als in eben jenem Werbespot...
Aber lassen wir denn mal den RTL-Zuschauern ihre Lebensfreude und ihr Universalrezept gegen die Langeweile und kommen zurück zu uns... Iss ja möglich, daß der RTL'sche Begriff von Lebensfreude uns auf Dauer doch nicht so zusagt? Könnte ja sein; oder? Vielleicht, weil wir Sünde und Ausschweifung lieben und nun sehen müssen, wie deren Stachel durch inkompetenten Gebrauch abstumpft und versumpft? Wär doch möglich, daß man das so sieht; nich? - Oder aber: vielleicht erwarten wir vom Leben gar noch mehr? Sehr viel mehr? Und wissen nicht einmal was? Und doch so viel, daß uns nicht einmal die Volkshochschule weiterhelfen kann?
Und nu?
Schwierig...
Für solche sei die Klamurke geschaffen.
Der Klamurke-Gedanke als solcher kam - nach Durchlaufen einiger Vorstufen - bereits Ende 1984 auf, als das Redaktionskollegium, des einsamen Herumtapsens in Nacht & Nebel müde, über ein solches "Organ für den Austausch über das Studium der Phänomenologie des geistig-seelischen Erstickens und die chemische Analyse des Unbehagens." in Kontakt & Erfahrungsaustausch kommen wollte mit andern ehrlich Verirrten.
Auch damals schon sollte die Klamurke Klamurke heißen; und die Richtung sollte, genau wie auch heute, "ungeistig - asozial - unchristlich" sein. Denn schon damals hatte man bemerkt, wie eine gewisse hochgestochene Schwätzerei einen vom Weitergehen ablenkt; und im Weiteren war bemerkt worden, wie gewisse Worte durch solches Geschwätz ihre angestammte Begrifflichkeit verloren und stellenweise sogar durch eine neue ersetzt hatten. Solches wurde als sehr unangenehm empfunden, da es doch recht verwirrend ist, wie diese Wortlarven uns wie Treibholz überall im Weg sind und die ohnehin kaum zu bewältigende Orientierung noch weiter erschweren; und man fand, daß auch so alles schon schwierig genug ist und daß man am besten solchen Wortlarven aus dem Weg geht... - Und zum Schluß der Aufruf: Krüppel aller Länder - vereinigt euch! Denn mit den ehrlich Ratlosen wollte man in Kontakt kommen; und weitaus weniger interessant schienen all diejenigen, die für alles sogleich fertige Theorien auf Lager haben und sich aus fertigen Antworten einen Panzer weben, der nach außen hin glatt und elegant aussieht und nach innen hin gar sehr wenig Platz läßt... Interessieren taten solche, denen es in derartigen Panzern zu eng wird; die da nicht reinpassen; und was bleibt - verglichen mit der glatten Oberfläche der Habenden - von solchen Armen im Geiste anders übrig als - Krüppel. Doch nur wer bereit ist, zu seinem Krüppeldasein zu stehen und seine Leiden auszukosten, hat - wenn überhaupt - eine Chance, es zu überwinden.
Ob man sich denn nun gar darin gefällt, sich im Mantel des Agnostikers oder des heillosen Skeptikers zu zeigen? Darin zu kokettieren?
Eigentlich nicht. Über den Chefredakteur z.B. läßt sich mit letzter Sicherheit sagen, daß er nicht nur nicht Agnostiker ist oder als solcher scheinen will, sondern daß sogar das weit verbreitete Dogma von den sogenannten "Erkenntnisgrenzen" ihm zu kleinkariert ist. Aber er macht da halt so'ne Unterscheidung zwischen Erkennen und Nichterkennen, zwischen Evidenz und Dogma... Oder nennen wir's anders: Es geht um das Problem der Redlichkeit.
Solches wäre denn das Anliegen der Klamurke.
Wie weit aber eine Klamurke berechtigt oder gar nötig ist - das muß schon jeder selbst entscheiden.
Prost denn.
Obigen Text findet man in dem Sammelband
"Einblicke in Abwege"
(Seminar-Verlag Basel)