Die Klamurke Belletristik

Von Drachen, Stripperinnen und Schornsteinfegern

Aus dem Leben des Ernst Tirckl-Wolff

Wenn früher jemand von einem Drachen geraubt wurde, so war das meistens eine Prinzessin, die dann anschließend, wenn weiter nichts dazwischen kam, von einem Ritter befreit wurde. Dieser Ritter durfte sie dann heiraten und erhielt als Mitgift ein halbes, oder, je nachdem, auch ein ganzes Königreich.

Heute gibt es Prinzessinnen nur noch in der Regenbogenpresse; und die sind meistens so aufgedonnert und unattraktiv, daß es keinem vernünftigen Drachen einfallen würde, eine solche zu rauben. Und selbst wenn mal eine geraubt würde, so dürfte sich kaum ein Ritter finden, der bereit wäre, ihretwegen irgendwelche Unannehmlichkeiten oder Fährnisse auf sich zu nehmen; und zwar nicht nur deswegen, weil die heutigen Prinzessinnen so blasiert sind und unattraktiv, sondern auch noch aus dem Grunde, weil sich durch Befreiung einer solchen kaum noch ein Königreich oder auch nur ein Teil davon einhandeln ließe und weil zu alledem auch die Ritter immer seltener werden.

Ayolla, die vorletzte Woche von einem Drachen geraubt wurde, ist Studentin der Medizin und huldigt des Abends, zur Entspannung wieauch zur Aufstockung ihres Budgets, in der Violetten Auster, einem wohl beleumundeten und von allen gern besuchten Nachtclub, der Kunst der Entkleidung. Sie ist, je nach Sichtweise, eine Medizin studierende Stripperin, oder aber eine strippende Medizinstudentin. Prinzessin ist sie nicht.

Der Drache erschien zu dem Moment, als Ayolla dabei war, ihre Ohrringe abzulegen. Beim Ablegen der Ohrringe war sie, wie immer, pedantisch konzentriert und sehr sachlich; wie immer schimmerte durch ihren konzentrierten Pedantismus zum Ausbruch drängendes formensprengendes Leben, und unter ihrer Sachlichkeit spürte man den Puls vor nichts Halt machenden Leichtsinns.

Eben während dieser prosaischen Tätigkeit streckte der Drache eines seiner sieben auf langen Hälsen sitzenden Häupter durch die Tür. Niemand wußte zu diesem Zeitpunkt, daß draußen noch weitere sechs Häupter warteten, geschweige denn daß man gewußt hätte, daß die übrigen sechs Häupter nur Staffage sind; und das Auftauchen dieses einen Hauptes hielt man für einen gelungenen Gag. Ayolla blickte kurz hoch, wirkte leicht erstaunt, aber weiter nicht beunruhigt, und fuhr ungerührt fort, sich von ihren Ohrgehängen zu befreien.

Und wie dann beide Ohrringe als seiner Funktion beraubtes Inventar von ihrer einstigen Trägerin getrennt auf dem in der Bühnenmitte stehenden Tischchen lagen – da verharrte Ayolla, als sei ihr plötzlich etwas eingefallen; und dann straffte sich ihre Gestalt; ihr von dunklem Stoffe straff umspannter Körper verfiel in lustvolles Schlängeln, und in ekstatischem Reigen strichen ihre nervigen Hände über die schwingenden Formen; wie nebenbei wurde hier ein Knopf geöffnet, dort eine Schnalle; Stoff wurde beiseitegeschoben, Haut glänzte auf.

Und dann ging plötzlich das Licht aus. In der Finsternis hörte man irgendwelches Rascheln und Schnaufen und Schnauben; dann einen spitzen lustvollen Schrei.

Und Stille.

Das Publikum ging von einem ganz besonders gelungenen Gag aus und klatschte eifrig Beifall. Während des Applauses ging das Licht wieder an; und da die Bühne leer war, verstärkte man das Klatschen, um solcherart Ayolla wieder hervorzulocken. Man klatschte und klatschte; doch niemand kam. Schließlich befand man, daß das nun doch ein recht alberner Gag ist, und hörte auf.

Statt Ayolla betrat dann Herr Brommsen, der Geschäftsführer der Violetten Auster, die Bühne. Er wirkte leicht verwirrt und sagte, es sei etwas Unvorhergesehenes und unverständliches passiert und der Auftritt von Fräulein Ayolla könne leider infolge spurlosen Verschwindens selbiger keine Fortsetzung finden.

Wie sich später herausstellte, hing Ayollas Verschwinden damit zusammen, daß jener bereits erwähnte siebenköpfige Drache sie geraubt und ins Gebirge verschleppt hatte. Ihren lustvollen Schrei nach Verlöschen des Lichts kam für die einen daher, daß der Drache, als er sie packte, irgendwelche erogene Zonen berührte, während andere ihn, ganz allgemein, mit masochistischen Anlagen in Verbindung brachten. Doch unabhängig von dem, wer Recht hat – unbestreitbare Tatsache bleibt, daß Ayolla während ihres Auftritts von einem Drachen gepackt wurde, daß sie dabei lustvoll aufschrie in der Folge ins Gebirge verschleppt wurde.

Ansonsten hatte der Drache, während er das eine Haupt zur Tür hineinstreckte, mit seinem massigen Körper und den draußen verbleibenden sechs übrigen Häuptern den Verkehr blockiert und dadurch zwei Auffahrunfälle mit beträchtlichem Materialschaden verursacht, bei denen aber zum Glück niemand verletzt wurde.

Im Weiteren, nach dem endgültigen Verschwinden sämtlicher Hauptteilnehmer der hier beschriebenen Vorgänge, erfuhr man, daß es sich um ein etwa 3000 Jahre altes Untier handelte, welches früher in den verschiedensten Königs-und Kaiserreichen, aber auch Herzogtümern und Grafschaften dieser unserer Erde Prinzessinnen raubte und dabei ganz schön herumkam. Die letzten dreihundert Jahre schlief er; und wie er dann die Situation, die sich auf Erden nach seinem Erwachen ihm darbot, näher in Augenschein genommen und mit anderen Drachen durchgesprochen hatte, wurde beschlossen, künftig keine Prinzessinnen mehr zu rauben, sondern nur noch Stripteasetänzerinnen.

Doch wollen wir nicht vorgreifen.

Ayolla blieb verschwunden; das einzige, was von ihr zurückblieb, waren ihre auf dem Tischchen abgelegte Ohrringe sowie ein Knopf von ihrem knöchellangen Kleid, der bei jenem Vorfall vermutlich abgesprungen war.

Die staatlichen Ordnungskräfte, die im Falle des gewaltsamen Verschlepptwerdens jedwelcher Personen normalerweise sofort aktiv werden, sahen sich überfordert; und da das Verschlepptwerden durch Drachen in den Dienstvorschriften an keiner Stelle Berücksichtigung findet, erklärten sie sich für nicht zuständig.

Aktiv wurde dafür Ernst Tirckl-Wolff.

Ernst Tirckl-Wolff, den manche seiner Freunde aus ungeklärten Gründen Tigerwolf nennen, setzte sich in seinen vor fünfzehn oder mehr Jahren irgendwo im fernen Ausland hergestellten Personenkraftwagen und brach damit auf Richtung Gebirge; und obwohl jener Personenkraftwagen aufgrund seines Alters sowie verschiedener sonstiger Faktoren nur noch bedingt fahrtüchtig war, brachte er ihn sicher ans Ziel.

Wäre Ernst Tirckl-Wolff, den seine Freunde Tigerwolf nennen, von Beruf nicht Schornsteinfeger gewesen, sondern, sagen wir, Bankdirektor oder sonstwas in der Richtung, oder wäre sein bescheidenes Schornsteinfegergehalt nicht zum größten Teil in Form von Alimenten für fünfzehn uneheliche Nachkommen weggeflossen, so hätte er sicher jeden Abend die Violette Auster besucht und hätte sich dabei unbedingt jedes Mal einen Tisch vorn an der Bühne reservieren lassen. Und all dies nur wegen Ayolla.

Doch Ernst Tirckl-Wolff war nicht Bankdirektor oder sonstwas in der Richtung, und nach Abzug der Alimente blieb von seinem Monatsgehalt zu wenig übrig, als daß er jeden Abend die Violette Auster besuchen und sich einen Tisch vorn an der Bühne hätte reservieren können. Denn die Violette Auster ist ein sehr teures Lokal.

Tirckl-Wolff besuchte fleißig Fortbildungskurse und hoffte, irgendwann in einen neuen Beruf mit besserem Verdienst überwechseln zu können; und außerdem trug er inzwischen, wohin er auch ging, immer einen Vorrat an Kondomen mit sich. Doch die beruflichen Folgen solcher Fortbildungskurse können lange auf sich warten lassen, und die fünfzehn unehelichen Nachkommen sind trotz aller im Nachhinein verwendeten Kondome bereits gezeugt und lassen sich nicht mehr aus der Welt schaffen.

Deshalb konnte er Ayolla, bevor sie von dem Drachen geraubt wurde, nur einmal die Woche sehen; und auch dies nur dank äußerst restriktiver Gestaltung seiner Speisekarte. — Der Tag, an dem er Ayolla sah, war von jeher der Donnerstag.

Ayolla kannte ihn bereits; und während ihres Tanzes hatten sie dauernd Blickkontakt, der nur unterbrochen wurde, während sie ihre Ohrringe abnahm und die paar kurzen Momente, da sie dem Publikum den Rücken zukehrte. Nicht zu übersehen war, daß sie donnerstags hingegebener und lasziver tanzte als an anderen Tagen und daß donnerstags durchgehend ihre Brustwarzen erregt waren. Nun; ihre Brustwarzen waren auch an anderen Tagen manchmal erregt; sichtlich putschte das Feuer der Blicke sie auf; doch donnerstags war sie ganz besonders in Form.

Geraubt wurde Ayolla an einem Freitag.

Ohne hiervon etwas zu ahnen verbrachte Ernst Tirckl-Wolff das darauffolgende Wochenende mit seinem jüngsten unehelichen Sohn und dessen Mutter. Der Sohn, Max mit Namen, lag die meiste Zeit in der Wiege, wo er abwechselnd mal schlief, mal schrie, und seine Mutter hatte langes blondes Haar sowie eine Schwäche für irgendeinen französischen Likör. Tirckl-Wolff hatte sich mit einem großen Vorrat an Kondomen eingedeckt, die, als er am Sonntag abend in seine Junggesellenbude aufbrach, restlos alle aufgebraucht waren.

Und am Montag las er in der Zeitung, daß irgendein Drache Ayolla ins Gebirge verschleppt hatte.

Er setzte sich dann in seiner Schornsteinfegerkluft, ohne den anstehenden Schornstein gefegt zu haben, in seinen über fünfzehn Jahre alten Personenkraftwagen und fuhr stracks ins Gebirge.

Er meinte, daß es verhältnismäßig einfach sein dürfte, den Drachen zu finden, da dieser, den Augenzeugenberichten nach zu urteilen, recht groß sein muß. Eben wegen seiner Größe wird es dafür andererseits nicht ganz so einfach sein, ihm Ayolla zu entreißen; doch irgendwas wird sich sicher finden lassen.

Doch wie sehr er auch suchte – der Drache war nicht zu sehen. Stunde um Stunde durchkämmte er dieses unsinnige Gebirge, bis er spät abends, völlig erschöpft, in eine Höhle kroch, um zu schlafen. Er hatte Hunger; alle Zigaretten waren aufgeraucht; nur noch zwanzig Kondome hatte er in der Tasche, doch die waren hier zu nichts nütze. Im nächtlichen Dunkel sich die vielen Kilometer zu seinem irgendwo abgestellten Personenkraftwagen zurückzutasten, um in die Stadt zu fahren und sich mit Zigaretten und Essensvorräten einzudecken, schien ihm nicht angebracht; leicht kann man sich in der Finsternis verirren oder irgendwo in einen Abgrund stürzen. — Er bereitete sich in der Höhle ein Lager aus Tannenzweigen und legte sich hin. Es war eine helle Vollmondnacht; der Platz vor dem Eingang war in gleißendes Licht getaucht. Er schloß die Augen.

Plötzlich spürte er einen heißen Hauch, und eine laute, aber tonlose Stimme fragte:

„Du hast mich gesucht?“

Er öffnete die Augen. In der Höhle war es plötzlich dunkel. Er knipste seine Taschenlampe an und erblickte ein den Höhleneingang versperrendes riesiges Drachenhaupt.

„Du hast mich gesucht?“ – fragte der Drache ein zweites Mal.

„Ja“, – antwortete Ernst Tirckl-Wolff. „Ich habe dich gesucht.“

„Ich vermutete sofort, daß du mich suchst“, – sagte der Drache. „Willst du nicht herauskommen? Es ist so unbequem, sich zu unterhalten, wenn du in der Höhle liegst.“

„Gut“, – sagte Tirckl-Wolff und stand auf. — Der Drache zog seinen Kopf aus dem Höhleneingang; und kurz darauf standen die beiden, der riesige Drache mit den sieben Köpfen und der kleine Tirckl-Wolff mit zwanzig Kondomen in der Tasche, sich im gleißenden Mondenlichte gegenüber. Oder, anders ausgedrückt, Tirckl-Wolff stand unter einem Spalier von sieben Drachenköpfen, die ihn alle erwartungsvoll anschauten. Und vor sich hatte er die riesige Masse des Drachenkörpers.

Der größte von den Köpfen, offenbar derjenige, mit dem er in der Höhle gesprochen hatte, sagte mit einer Stimme, die schon nicht mehr tonlos klang, sondern wie rollender Donner:

„Du suchtest mich. Und nun hast du mich gefunden...“

„Genau genommen, hast du mich gefunden“, – antwortete Tirckl-Wolff ungerührt. „Wieso meinst du, daß ich dich suchte?“

„Weil ich dich die ganze Zeit schon beobachte. Du wirkst wie einer, der jemanden sucht. Und wen solltest du in dieser Einöde suchen, wenn nicht mich?“ — Das Drachenhaupt stieß einen kurzen Feuerschwall aus der Nase und fuhr fort. „Ich bin es gewohnt, daß man mich sucht. Früher, als ich noch Prinzessinnen raubte, jagten mir dauernd irgendwelche Ritter hinterher. Heute raube ich Stripperinnen. Ich hab mich noch nicht lange umgestellt und weiß noch nicht, was das für Leute sind, die mir nun hinterherrennen werden. — Wie ein Ritter wirkst du nicht...“

„Ich bin Schornsteinfeger“, – antwortete Ernst Tirckl-Wolff würdevoll.

„Schornsteinfeger?“ – fragte der Drache interessiert. „Was ist das?“

„Ein Schornsteinfeger heißt Schornsteinfeger, weil er Schornsteine fegt“, – sagte Tirckl-Wolff. „Deine sieben Köpfe machen mich übrigens nervös; man weiß nie, an welchen man sich wenden soll, wenn man mit dir spricht.“

„Laß dich durch die vielen Köpfe nicht beirren...“ – Der Drache zog all seine Hälse mit den draufsitzenden Köpfen, außer dem mittleren, nach rückwärts und schmiegte sie an seinen massigen Rücken. „In Wirklichkeit habe ich, gleich dir, nur einen einzigen Kopf; die übrigen Hälse sind am falschen Ende herausgewachsene Schwänze, deren Enden wie Köpfe aussehen. Eine Laune der Natur... Und was sind Schornsteine?“

„Schornsteine sind diese Dinger auf den Dächern, aus denen Rauch herauskommt. Durch den Rauch werden sie mit der Zeit von innen her schmutzig und müssen dann gefegt werden.“

„Und was haben diese Schornsteine und diejenigen, die sie fegen, mit Stripperinnen zu tun?“ – fragte der Drache. „Die Stripperin von letztem Freitag ist überhaupt meine erste; ich hatte noch keine Zeit, mich mit dem Umfeld und den Gebräuchen ihres Milieus vertraut zu machen und hab keine Ahnung, was nun auf mich zu kommt. Früher raubte ich immer nur Prinzessinnen. Und die letzten dreihundert Jahre schlief ich und raubte niemanden. Mußte mal ausschlafen….“

„Auch ich hab manchmal das Bedürfnis, auszuschlafen“, antwortete Tirckl-Wolff. „Allerdings schlafe ich nicht ganz so lange. Was deine Frage betrifft, so sei gesagt, daß die Schornsteine und die Schornsteinfeger in keinerlei besonderen Beziehung stehen zu den Stripperinnen. Die Schornsteine rauchen, die Schornsteinfeger fegen sie, die Stripperinnen ziehen sich aus. Als Privatperson kann ein Schornsteinfeger, wie jeder andere auch, sich am Tanze einer Stripperin erfreuen; doch als Schornsteinfeger hat er nur mit Schornsteinen zu tun.

„Es ist also nicht so, daß Schornsteinfeger gewissermaßen die Leibgarde sind für die Stripperinnen? So wie früher die Ritter für die Prinzessinnen?“

„Keineswegs“, – antwortete Tirckl-Wolff. „Was mich betrifft, so bin ich nicht als Schornsteinfeger hier, sondern als Privatmann. Als Privatmann aber hab ich eine Schwäche für Frauen; und ganz besonders die letzten Freitag von dir geraubte Ayolla hat es mir angetan. Ihretwegen bin ich hergekommen.“

„Daß du ihretwegen herkamst, ist mir klar“, – sagte der Drache. „Doch gibt es nun irgendwelche spezielle Schutztruppe für Stripperinnen? So wie früher für die Prinzessinnen diese ganzen Ritter und Prinzen?“

„Eine solche Schutztruppe existiert nicht“, – antwortete Tirckl-Wolff. „In dieser Hinsicht wirst du keine Probleme haben. Doch wieso, wenn ich fragen darf, hast du dich von Prinzessinnen auf Stripperinnen umgestellt?“

„Weil die Prinzessinnen im Laufe der letzten paar hundert Jahre zu sehr heruntergekommen sind. Nicht mehr die gleiche Qualität wie früher, verstehst du... Die beste Qualität findet man heute bei den Stripperinnen. Ich hab mich mit meinen Kollegen beraten; und wir kamen überein, künftig nur noch Stripperinnen zu rauben.“

„Und wenn eine Prinzessin Striptease tanzt? Salome zum Beispiel war ja auch Prinzessin und Stripperin in einem?“

„Salome...“ — Der Drache dachte nach. „Ja, ich kann mich an sie erinnern. In meiner Jugend war das… Rassiges Mädel… Damals stellten die Prinzessinnen noch etwas dar. Heute sind sie im Allgemeinen degeneriert; doch wenn eine heutige Prinzessin Striptease tanzt, so bedeutet das, daß sie die früher diesem Stande eigene Qualität bewahrt hat. In solchem Falle betrachten wir sie nicht als Prinzessin, sondern als Stripperin; und nichts steht dem im Wege, daß wir sie rauben.“

„Und deine Kollegen sind alle auf Stripperinnen umgestiegen?“ – fragte Ernst. Von Anfang an, noch vor ihrer Begegnung, hatte er den Drachen mehr als Kumpanen denn als Gegner empfunden; und nun, da sie sich gegenüberstanden, war auch der letzte Rest an Unsicherheit gewichen. Daß er Ayolla geraubt hat, spricht für seinen Geschmack; wo soll man so jemanden als Gegner betrachten!

„Wir sind eine eingeschworene Gemeinschaft“, – antwortete der Drache. „Nachdem wir in einer Reihe Beratungstreffen die Lage sondiert hatten, hielten wir vor nicht ganz einem Monat eine Vollversammlung ab; und auf dieser Vollversammlung wurde rechtskräftig beschlossen, daß Drachen mit sofortiger Wirkung keine Prinzessinnen mehr zu rauben haben, sondern nur noch Stripperinnen. Wer sich nicht daran hält, muß mit Sanktionen rechnen...“

„Warum soll man sich nicht daran halten“, – murmelte Ernst. „Stripperinnen sind nun mal besser als Prinzessinnen. Wenn ich Drache wär, würde ich mich eisern daran halten; ganz ohne Sanktionen...“

„Eben...“, – sagte der Drache.

„Und gibt es viele von eurer Sorte?“

„Unsere Gemeinschaft zählt ganze 342 Mitglieder...“

„342? Das ist doch die Zahl, die im Siebenersystem als 666 erscheint?“

„Mag sein“, – antwortete der Drache ausweichend. Rechnen war offenbar nicht seine Stärke.

„Und wo leben die alle? Hier im Umkreis?“

„Kreuz und quer über die ganze Welt verteilt... Manche ziehen das Gebirge vor; andere fühlen sich wohler in den Wäldern. Hier im Umkreis wäre es etwas eng...“

„Und wie besucht ihr euch gegenseitig, wenn ihr so weit auseinander lebt?“

„Wie wir uns gegenseitig besuchen? Nun, wir fliegen halt…“

„Ihr fliegt?“ – wunderte sich Ernst. „Wie geht denn das?“

„Wir erheben uns in die Luft und fliegen los. Geht ganz einfach.“

„Aber du hast doch keine Flügel?“

„Wieso Flügel? Fliegen kann man auch ohne Flügel; es gibt da die verschiedensten Techniken. Einige meiner Kollegen haben zwar Flügel; doch das sind die langsamsten, und sie sind immer ganz erschöpft, wenn sie irgendwo ankommen. Ohne Flügel fliegt es sich leichter.“

„Und wozu braucht ihr eigentlich die Stripperinnen?“ – fragte Ernst. „Man möchte doch meinen daß ihr, was die fleischlichen Gelüste betrifft, etwas anders gelagert seid, als ich zum Beispiel? Oder eßt ihr sie einfach auf?“ — Der Gedanke, jemand könnte Ayolla aufessen, war Ernst unerträglich; doch der Drache war ihm so sympathisch, daß er ihm sogar das verziehen hätte.

„Zum Aufessen sind zu schade“, – antwortete der Drache. Ernst fühlte sich beruhigt. Doch besser, wenn er sie nicht aufißt… – „Zwar gibt es unter uns tatsächlich einige wenige, die sie aufessen“, – fuhr der Drache fort. „Doch das sind Ausnahmen, die im allgemeinen nicht ernst genommen und sogar als pervers betrachtet werden. — Wozu wir sonst die Stripperinnen brauchen? Natürlich hat unsere Tätigkeit viel mit Tradition zu tun. In der Tradition liegt es begründet, daß Drachen irgendwen zu rauben haben. Früher waren das Prinzessinnen, und nunmehr, nach jüngstem Beschluß, Stripperinnen. Doch die Tradition ist nur die eine Seite. Die andere Seite hat damit zu tun, daß die meisten Drachen sich gegenüber dem Gegenstand ihres Raubens keineswegs gleichgültig verhalten. Ginge es nur um die Tradition, so würden wir weiterhin Prinzessinnen rauben, egal, wie sie aussehen und wie degeneriert sie sind. Doch die meisten Drachen sind den Reizen der Menschenfrauen nicht minder verfallen als, zum Beispiel, du; auch wenn wir aus einer Reihe von Gründen nicht in der Lage sind, die Genüsse, die sie zu bieten haben, bis zur äußersten Konsequenz auszukosten. Eben diese Hinneigung zu den Menschenfrauen und die daraus resultierenden Ansprüche und Bedürfnisse machten es nötig, daß wir eine Vollversammlung einberiefen, um einen neuen, unserem Geschmack besser gerecht werdenden Gegenstand unseres Raubens festzusetzen.“

Der Drache stieß eine kurze Feuerwolke nach einer seinen Kopf umflatternden Fledermaus und fuhr fort:

„Auf unserer Vollversammlung gab es nur drei, die sich den Menschenfrauen gegenüber gleichgültig verhalten. Zwei von ihnen wollten, mangels eigener Bedürfnisse, stur an den Traditionen festhalten und weiter Prinzessinnen rauben; doch sie wurden naturgemäß überstimmt. Und einer wollte gar, daß wir fortan Jünglinge rauben. Der wurde ausgebuht; und in einer Sondersitzung wurde beschlossen, das Jünglingerauben prinzipiell bei Todesstrafe zu verbieten.“

„Und ihr würdet die Todesstrafe tatsächlich vollstrecken?“

„Natürlich würden wir sie vollstrecken, wenn er es darauf ankommen läßt. Aber der Betreffende ist ein Feigling und wird es nicht darauf ankommen lassen. Der schlängelt jetzt im Kongo in seinem Urwald herum und spielt aus Langeweile ab und zu Katz und Maus mit Pygmäenfrauen...“

„Gibt's bei den Pygmäen auch Stripperinnen?“ – wunderte sich Ernst. „Die sind doch eh schon nackt?“

„Er sagt, es gebe welche“, – antwortete der Drache. „Nun; mag er leben, wie er will; solang er nicht übertreibt, lassen wir ihn in Ruhe.“

„Und was ist nun mit Ayolla?“

„Ayolla? Die hab ich nicht weit von hier in eine Höhle gesperrt. Willst du sie sehen?“

„Bin nicht abgeneigt. Wenn du keine Einwände hast...“

„Keine Einwände. Gehen wir los?“

„Ich bin bereit.“

„Steig am besten auf meinen Rücken; zu Fuß ist es für dich etwas weit.“

Über einen der vorne herausgewachsenen Schwänze, die der Drache ihm hilfreich entgegenneigte, kraxelte Ernst dem Untier auf den Rücken, und kurze Zeit später standen sie auf einem von Wald umrahmten Felsplateau. Zur Rechten erhob sich schroff eine Felsenwand, an der ein riesiger Felsbrocken lehnte.

„Übrigens, bevor ich dich zu ihr lasse, wollte ich mich noch mit ihr vergnügen“, – flüsterte der Drache. „Kriech in die Büsche da vorn, damit sie dich nicht sieht. Brauchst übrigens keine Angst zu haben, daß ihr was passiert; ich lasse sie heil und unversehrt.“

Ernst rutschte vom Drachenrücken hinunter auf die Erde und kroch in die Büsche.

Mit seinem rechten Vorderfuß kippte der Drache den an der Felsenwand lehnenden Felsbrocken beiseite und legte eine schmale, gut mannshohe Spalte frei.

„Komm heraus!“ – rief er.

„Ich komm gleich“, – tönte von drinnen munter eine melodiöse Frauenstimme.

„Nicht gleich, sondern sofort“, – donnerte der Drache. „Ich habe Hunger!“

Und er legte seinen Rachen an die Öffnung und schickte einen kurzen Flammenstoß hinein. Drinnen ertönte ein Schrei.

„Er versengt sie“ – dachte Ernst wütend. „Muß doch nicht sein!“

Der Drache zog sein Haupt zurück, und kurz darauf trat aus der Öffnung Ayolla. Sie trug jenes bereits vertraute hautenge knöchellange Kleid, welches sie abends in der Violetten Auster auszuziehen pflegte, und hochhackige Schuhe. Die Ohrringe fehlten; denn die Ohrringe hatte sie, als sie verschleppt wurde, in der Violetten Auster zurückgelassen.

„Du willst mich schon wieder aufessen?“ – fragte sie.

„Ja“, – antwortete der Drache. „Ich habe Hunger.“

„Bereits dreimal tatest du, als wollest du mich aufessen. Warum quälst du mich?“

„Du bist in meiner Gewalt, und ich kann selbst bestimmen, wann ich dich aufesse, und wann nicht“, – sagte der Drache streng. „Hätte ich dich heute mittag tatsächlich gefressen, so wärest du jetzt weg, und ich müßte hungern. Denn ich bin vor kurzem erst hierhergezogen und konnte noch keine Vorräte anlegen.“

„Selber schuld, wenn du zu faul bist, Vorräte anzulegen“, – maulte Ayolla.

„Nachher geh ich in die Stadt und hol Nachschub; und deshalb kann ich dich jetzt ohne Probleme fressen. Zieh dich aus!“

„Ich mag nicht, wenn man mich frißt!“ – protestierte Ayolla.

„Das ist dein Problem. Ausziehen!“

„Willst du nicht lieber einen Hirschen fangen? Da ist mehr dran!“

„Ich entscheide selbst, wen ich esse. Wenn du dich nicht sofort ausziehst, freß ich dich bekleidet.“

„Bekleidet schmeck ich nicht.“

„Ich weiß. Aber ich hab Hunger.“

Ayolla schien kurz zu überlegen. „Wenn ich schon gefressen werde, will ich wenigstens schmecken“, – sagte sie schließlich und begann ohne Umschweife, sich auszuziehen. Das Kleid warf sie auf den Felsbrocken, der als Tür diente; und auch den Unterrock legte sie dorthin ab. Dann folgten die Strümpfe, und nach und nach alles, was sie am Leibe trug. Im gleißenden Mondlicht sah Ernst, daß ihre Brustwarzen erregt waren. „Ob das Aufgegessenwerden ihr Lust bereitet?“ – wunderte er sich. „Was er wohl mit ihr vor hat? Immerhin hat er versprochen, sie heil zu lassen.“

Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Kaum war die letzte Hülle gefallen, da neigte der Drache das Haupt und öffnete das Maul; seine Zunge umfaßte ihre Taille; und mit einem schrillen Aufschrei verschwand Ayolla in dem zähnestarrenden Rachen.

„Der frißt sie tatsächlich!“ – rief Ernst erschrocken. „Bist du verrückt? Hörst du? Hör auf!“ — Er kroch aus den Büschen hervor und trommelte mit den Fäusten gegen das säulenartige rechte Vorderbein des Drachen. Doch der Drache blieb ungerührt. Hoch erhobenen Hauptes bewegte er seine Kiefer, aus denen Ayollas Beine ragten. Ayolla schrie und stöhnte und keuchte. Die Beine verschwanden, die Kiefer klappten zu; dann gingen sie, unbeirrt mahlend, wieder auseinander; ein Arm erschien, verschwand wieder; der Drache warf den Kopf hoch; bis zu den Knien wurden Ayollas Beine sichtbar; sie keuchte und stöhnte, immer lauter, immer orgiastischer; und Ernst verstand, daß sie kurz vor dem Orgasmus steht.

Und dann kam der Orgasmus.

Auch der Drache begann zu keuchen.

Und plötzlich hörte die Mahlbewegung der Kiefer auf; das Stöhnen verstummte und auch das Keuchen. Einen Augenblick lang verharrte der Drache mit hoch erhobenem Haupte und leicht geöffnetem Mund, aus dem Ayollas Beine ragten. Dann senkte er langsam den Kopf, bis Ayollas Füße den Boden berührten, und ließ sie frei.

Ayolla lehnte sich mit dem Rücken gegen den Felsbrocken, auf dem noch immer ihre Kleidung lag, und schüttelte wie betäubt den Kopf. Ihr Körper glänzte von dem Speichel des Drachen.

„Du hast mich schon wieder nicht gefressen“, – murmelte sie. „Bin doch kein Kaugummi.“

„Fressen kann ich dich immer noch“, – antwortete der Drache. „Vielleicht später mal...“

„Ich denke, du hast Hunger?“

„Den Hunger zu stillen geh ich jetzt in den Wald und fang mir einen Hirschen; da ist mehr dran. Und dann geh in die Stadt und hol mir noch eine Stripperin.“

„Zum Aufessen oder zum Lutschen?“

„Wenn ich genug zusammen habe, kann ich auch mal eine aufessen... — Dies ist übrigens mein Freund Tirckl-Wolff. Darf ich vorstellen?“ — Ernst Tirckl-Wolff trat aus dem Schatten der Felsenwand hinaus in das gleißende Mondlicht. — „Er ist ein Schornsteinfeger, und er hat dich gesucht. Was ein Schornsteinfeger ist, hab ich zwar nicht verstanden; aber Hauptsache, er ist kein Ritter. Mit Rittern hatte ich früher immer nur Ärger. Du weißt, was ein Schornsteinfeger ist?“

„Was ein Schornsteinfeger ist, weiß ich“, – lächelte Ayolla. Mit einem raschen Griff faßte sie das hinter ihr liegende Kleid und hielt es, ihre Blößen bedeckend, vor die Brust. „Den Herrn kenn ich von der Violetten Auster her.“

Der Drache gab Ernst einen Stups mit der Nase. „Du wirkst ziemlich aufgeputscht“, – sagte er. „Ich geh mir jetzt was zum Essen holen und stell sie derweil zu deiner Verfügung. Tu dir keinen Zwang an; fühl dich wie zu Hause.“ — Und zu Ayolla gewandt, fuhr er fort: „Du gehst jetzt mit meinem Freund Ernst in die Höhle und gibst dich ihm hin.“

„Ich bin doch keine Nutte!“ – protestierte Ayolla.

„Ob du Nutte bist oder nicht spielt hier keine Rolle“, – antwortete der Drache streng. „Du bist in meiner Gewalt und hast zu tun, was ich sage. Wenn du nicht spurst, seng ich dich.“

Er stieß einen Flammenstoß aus seiner Nase, und für einen kurzen Moment stand Ayolla eingehüllt in lodernde Flammen. — „Hör auf!“ rief sie.

„Ich geh mir jetzt was zum Essen holen und übergeb dich derweil in die Gewalt meines Freundes Ernst“, – sagte der Drache. „Gib dich ihm hin mit Haut und mit Haaren; und solltest du dich nicht recht fügen, so werd ich dich sengen.“

Er wandte sich um und verschwand; und kurz darauf hörte man nur noch das Krachen seiner sich entfernenden Schritte.

„Das heißt, du wirst mich jetzt bewachen?“ lächelte Ayolla.

Ernst fiel plötzlich auf, daß der Drache seine Gefangene ohne Bewachung zurückgelassen hatte. Oder – unter seiner Bewachung? Offenbar vertraut er ihm, daß er sie bewacht. Ernst dachte nicht daran, dieses Vertrauen zu enttäuschen; und zudem wollte er tatsächlich nicht, daß Ayolla flüchtet. Damit er weiterhin jeden Donnerstag zuschaut, wie sie sich in der Violetten Auster auszieht? Wenn sie schon mal in die Gefangenschaft seines Freundes, des Drachen, geraten ist, soll sie dort auch bleiben!

„Ja“, – nickte Ernst. „Ich bewache dich.

„Wie soll ich entfliehen, da ich doch nackt bin…“ – sagte Ayolla und warf ihr Kleid, mit dem sie ihre Blöße bedeckt hielt, beiseite. „In der Höhle ist ein weiches Bett aus Tannenzweigen. – Gehen wir rein?“

Sie verschwanden in der Höhle.

„Noch vor einer Woche hätte ich gesagt, daß du Spitze bist“, – sagte Ayolla, als sie sehr viel später schweißbedeckt auf den Tannenzweigen nebeneinander lagen. „Seit ich in der Gewalt des Drachen bin, sind meine Ansprüche ins Unermeßliche gestiegen. Ich steck in seinem Rachen; er kaut an mir herum und dringt mit seiner Zunge in mich ein...“

Plötzlich stutzte sie: „Hast etwa du den Drachen auf mich angesetzt?“

„Ich? Wieso meinst du?“

„Ihr seid immerhin Freunde; und ich bin eure gemeinsame Beute… Ist übrigens nicht als Vorwurf gemeint; ich frag nur aus Neugier…“

„Den Drachen traf ich heut abend zum ersten Mal; früher kannten wir uns nicht, “ – antwortete Ernst. „Ursprünglich kam ich her, weil ich dich befreien wollte. Doch dann freundeten wir uns an…“

„Und beschlosset, euch gemeinsam an der Beute gütlich zu tun…“ – lachte Ayolla.

„Im Prinzip ist das so“, – bestätigte Ernst ungerührt.

„Du bist ein ganz wüster Egoist“, – sagte Ayolla. „Du gefällst mir.“

„Danke“, – antwortete Ernst. „Und hast du keine Angst, daß er dich mal wirklich auffrißt?“

„Ich rechne jedes Mal damit, daß er mich auffrißt. Was könnte ihn daran hindern?“

„Eben: Nichts kann ihn hindern...“

„Und das macht die Sache noch viel spannender... Wenn er mich packt, ist das wie ein Sturz kopfüber in den Abgrund, bei dem ich nicht weiß, wo ich landen werde...“

„Und wenn du plötzlich in seinem Magen landest?“

„Na und? Besser so, als nach vielen Jahren an Altersschwäche im Bett sterben. – Du bist übrigens erstaunlich genügsam. Ich hätte dich für triebhafter gehalten.“

Als der Drache mit vollem Magen zurück kam, war Ernstens Kondomvorrat bereits leicht geschrumpft.

„Da bin ich wieder“, – ertönte draußen seine Stimme. „Hab euch ein paar Hasen mitgebracht; wenn ihr Lust habt, könnt ihr sie euch braten. — Ich geh jetzt in die Stadt und hol noch eine Stripperin. Hast du irgendwelche Vorlieben?“

„Schlank, mit festen Brüsten, “ – antwortete Ernst. „Und am besten was intelligenteres; vielleicht eine Studentin oder so.“

„Anspruchsvoll biste ja... Will sehen, was ich finde. Fühl dich derweil wie zu Hause...“

Und wieder das sich entfernende Knacken von Zweigen und Ästen.

„Warum bist du so zurückhaltend? In der Violetten Auster starrst du mich immer an wie ein hungriger Wolf seine Beute. Aaah...“

Als der Drache zurück kam, waren restlos alle Kondome aufgebraucht. Nicht nur eine Stripperin brachte er mit, sondern gleich dreie; und alle drei wirkten irgendwie verwirrt. Eine weinte sogar. Ayolla tröstete die Neuankömmlinge, sagte, das sei alles gar nicht so schlimm, und sicher werde alles gut werden. Dann wurden die Gefangenen in die Höhle gesperrt; der Drache kippte den Felsbrocken vor den Eingang und legte sich schlafen.

Ernst bereitete sich in den Büschen ein Nachtlager.

Am andern Morgen entfachte er ein Lagerfeuer und briet die Hasen. Der Drache rollte den Felsblock vom Eingang, warnte die Stripperinnen, daß Fluchtversuche mit Aufgegessenwerden geahndet werden, und lud sie ein, sich am Wasserfall zu waschen und anschließend zu frühstücken.

Und wie sie dann alle am Lagerfeuer saßen und Hasenbraten aßen, fragte Ernst den Drachen, ob er sich nicht beteiligen wolle. Doch der Drache antwortete, ein Hase sei für ihn eine zu kleine Portion, und er werde nachher eine von den Damen aufessen. Woraufhin die neuen ganz blaß wurden und aufhörten, zu essen. Ayolla fragte keck, ob er sich denn schon jemanden ausgesucht habe und empfahl sich selbst. Sie habe heute morgen gute Laune und würde deshalb ausgezeichnet schmecken. Und am besten würde sie schmecken, wenn er sie vorher in eine Wanne mit Himbeeren eintauche.

„Wo nehm ich so schnell so viele Himbeeren her“, – wehrte der Drache ab. „Nee, ich ess dich besser ohne Himbeeren. Aber iß du selbst erst mal den Hasen auf; dann sehen wir weiter.“

Die drei neuen waren beruhigt und machten sich wieder an den Hasenbraten. Ayolla stand auf und sagte, sie wolle sich noch einmal am Wasserfall waschen, da sie es unästhetisch finde, ungewaschen gefressen zu werden. — Die drei Neuen wunderten sich sehr.

Doch wie Ayolla dann, munter und gutgelaunt, wieder im Kreise ihrer Mitgefangenen saß, verkündete der Drache, er werde zum Frühstück doch besser einen Hirschen essen.

Auf Bitten Ayollas wurde eine von den neuen, diejenige, die gestern abend geweint hatte, wieder frei gelassen. Ernst bot sich an, sie mit seinem Personenkraftwagen zurück in die Stadt zu bringen. Er müsse sowieso in die Stadt, da er keine Kondome mehr hat und auch keine Zigaretten und sich neu eindecken muß.

Der Drache sperrte die drei verbleibenden in die Höhle, brachte Ernst und die Freigelassene zum Auto und ging dann auf Hirschjagd.

Ernst fuhr mit seinem Personenkraftwagen die Stripperin zurück in die Stadt. Während der Fahrt verhielt er sich zurückhaltend und machte keinerlei Annäherungsversuche. Denn er hatte keine Kondome mehr; und zudem war seine Begleiterin unablässig am Klagen ob der Widrigkeiten des Schicksals und war überhaupt ein unglückliches, weinerliches Geschöpf. Frau eines Studienrats, der vor kurzem mit einer Oberstufenschülerin durchgebrannt war und sie ganz alleine gelassen hatte; und nun müsse sie sehen, wie sie sich über Wasser hält. Warum sie sich unbedingt mit Striptease über Wasser halten wollte, verstand er nicht. Zum Striptease braucht es kettensprengende Unbekümmertheit und Hingabe, während seine Begleiterin recht verkrampft und egozentrisch wirkte. Nun, vielleicht versucht sie instinktiv, durch ihre Tätigkeit als Stripperin von ihrer Verkrampftheit und ihrer Egozentrik freizukommen. Wenn das ihr gelingt – wird sie vielleicht noch eine interessante Frau. Schlecht sieht sie ja nicht aus… Ernst schaute sie aus den Augenwinkeln an. In der Tat: sieht nicht schlecht aus. Aber er hatte keine Kondome mehr und auch keine Zeit. Er setzte sie an der angegebenen Adresse ab und fuhr zur nächsten Apotheke, wo er die ganzen Kondomvorräte aufkaufte. Dann kaufte er noch ein paar Stangen Zigaretten und fuhr stracks zurück ins Gebirge.

Wie er zurückkam, verkündete der Drache, er werde die geraubten Stripperinnen in den Himalaja verschleppen, wo ein paar gute Freunde von ihm wohnen, und lud Tirckl-Wolff ein, mitzukommen.

Ernst ließ sich das nicht zweimal sagen; allerdings wollte er wissen, wie die Stripperinnen selbst das sehen. Der Drache beruhigte ihn: Mit Ayolla sei sowieso alles klar; und auch die neuen hätten sich unter ihrem Einfluß gut eingelebt. Eine von ihnen hätte sogar vorgeschlagen, ihre Freundin zu rauben und mitzunehmen.

Und so kam es, daß sowohl Ernst Tirckl-Wolff als auch Ayolla und ihre beiden Kolleginnen für alle Zeiten verschollen blieben.

Der vor vielen Jahren im fernen Ausland hergestellte Personenkraftwagen aber, der Ernst Tirckl-Wolff über lange Zeit solch treue Dienste geleistet hatte, blieb stehen, allwie er ihn verlassen hatte; und wenn er nicht verrostet ist, so steht er noch heute.

Herr Tirckl-Wolff ist, unter anderem, auch noch Dichter,

und als solcher Mitglied des Vondorten’schen literarischen Multiversums

Ein Beispiel aus seinen bebilderten Werken:

© Raymond Zoller
Zur russischen Übersetzung





Diesen Text findet man, neben vielen anderen, in dem Taschenbuch

Raymond Zoller

Wie ich den König vom Pferd schubste

und sonstiges Episodisches

RaBaKa-Publishing, Edition Ivata
Erscheinungstermin: Juni 2013
Preis: 16,90 €
Seitenzahl: 196
ISBN: 978-3-940185-25-9


[Sollte der vom Pferde geschubste König über den Buchhandel nicht mehr erhältlich sein, so kann man es über den
Vertrieb des Seminar-Verlags
versuchen. Auf der durch das Link angesteuerten Seite ganz nach unten scrollen; dort findet man ihn]

Die Erzählungen kennzeichnet eine für Zoller typische inhaltliche Unernsthaftigkeit, kombiniert mit einer streng durchgestalteten Form. Die Szenen und Orte der Erzählungen reichen hinein ins Reich des Fantastischen; aber auch ganz normale Alltagsszenen weiß der Autor ins Absurde zu führen. Seine Protagonisten verhalten sich so, wie es nach Ansicht Zollers nicht allein Romanfiguren gut stände, sondern auch dem regelkonformen „Zivilisationisten“.

(Erika Reglin-Hormann)

Ausführliche Besprechung bei Amazon findet man über dieses Link