Die Klamurke Soziales

In Russland Notiertes

Wie ich einmal
an Kulturaustausch und Völkerverständigung
teilhaben durfte

eine wahre Begebenheit

Ein Mensch bin ich ohne jede Bildung und Bildungsbeflissenheit; und entsprechend sind solche Dinge wie Kulturaustausch und Völkerverständigung für mich böhmische Dörfer.

Und doch war es auch mir einmal vergönnt, - wennauch unfreiwillig - zu Kulturaustausch und Völkerverständigung einen Beitrag zu leisten.

Irgendwann im Sommer des Jahres 1995 war das... Nicht mein Beitrag zur Völkerverständigung; der war früher; nur ein Versuch herauszufinden, was da eigentlich gewesen ist. Damals saß ich in Moskau an einem Tische in einem dieser zahllosen Zimmer der „Literaturnaya Gaseta“ und hörte mir, zusammen mit anderen, die Ausführungen des Leiters des Moskauer Goethe-Institutes an, welcher über Dolmetscher der „Literaturnaya Gaseta“ ein gemeinsam durchzuziehendes Projekt vorstellte. Das heißt, für mich hätte es eigentlich keinen Dolmetscher gebraucht; selbst sprech ich fließend Deutsch; doch da all die übrigen Anwesenden mit Deutsch nicht so gut bestellt waren, war ein Dolmetscher vonnöten; und zudem war dem Vortragenden nicht bekannt, daß unter diesen Russen, die da am Nebentische mit grimmen Mienen sich seine Darlegungen anhören, einer dabei ist, der in gewisser Hinsicht gar kein Russe ist und ihn auch ohne Dolmetscher versteht.

In diese illustre Gesellschaft war ich reingeraten, weil Volodja meinte, das sei doch interessant, wenn ich mir das mit anhören würde. Volodya arbeitete als Redakteur bei der „Literaturnaya Gaseta“; er hatte mich viele Monate vorher mal angerufen, weil er irgendwo Wind davon bekommen hatte, daß ich für irgendein geringeres Blatt einen Aufsatz schreibe zum Problem der Verzombiierung der Sprache, also darüber, wie das, was man Sprache nennt, sich zunehmend in einen Zombie der Sprache verwandelt; und weil er sowas auch haben wollte, hatte er meine Telefonnummer ausfindig gemacht und mich angerufen. Also hatte man sich kennengelernt; seitdem hatte ich bereits dies und jenes für die „Literaturnaya Gaseta“ geschrieben; und nun meinte man denn, es sei doch interessant, wenn ich bei jenem Treffen auf höchster Kulturebene dabei bin. Ich selbst versteh, wie eingangs erwähnt, so gut wie gar nix von Kulturaustausch und damit verbundenen Projekten und hätte vielleicht Kopfweh oder dringende Angelegenheiten vorgeschoben, die mir eine solche Teilnahme verwehrten, wenn nicht gewisse andere Dinge vorgelegen hätten, die es mir nahelegten, die Möglichkeit einer Kontaktknüpfung mit dem Goethe-Institut gefälligst zu nutzen.

Im weiteren denn zu diesen anderen Dingen:

Nämlich hatte ich kurze Zeit vorher die Bekanntschaft einer jungen Dame gemacht, die an der Universität Kasan am Lehrstuhl für deutsche Sprache tätig war. Sie sprach recht gut Deutsch; und ich gab ihr denn einige von mir verfaßte Texte zu lesen. Ich schreibe nämlich auch in Deutsch; und da Deutsch meine Muttersprache ist, schreib ich sogar viel mehr in Deutsch als in Russisch. Nicht, daß ich Schriftsteller wäre; hierzu fehlt mir die nötige Kultur und Bildungsbeflissenheit sowie Fähigkeit und Wille, mir ein Image aufzubauen und mich in die nötigen Kreise reinzudrängen; schreib einfach so, aus Spaß an der Freud. Kann man doch; oder? Veröffentlichen tat ich so gut wie nicht; und da nahm es mich doch sehr wunder, als meine Bekannte bei einer ganzen Reihe von Texten behauptete, sie hätte die vor kurzem gelesen; und zwar in irgendwelchen Sammelbänden, welche das Goethe-Institut ihrer Bibliothek geschenkt hatte. Ein paar vereinzelte Texte, die sie wiedererkannte, waren tatsächlich mit meinem Wissen veröffentlicht; und zwar unter Umständen, für die ich mich heute eigentlich schäme. Ende der achtziger Jahre war das gewesen. Damals war ich noch der irrigen Auffassung, ich sei Schriftsteller und müsse folglich veröffentlichen; und da reguläre Verlage mit meinen Ergüssen nichts anzufangen wußten (ich vermutete, daß sie nichts damit anzufangen wissen; und angesichts der Aussichtslosigkeit eines solchen Unterfangens drängte ich mich, abgesehen von vereinzelten halbherzigen Versuchen, gar nicht erst auf) griff ich, da ich ohne Veröffentlichung nicht auszukommen glaubte, auf Selbstbeteiligungsverlage zurück. In zwei solcher Sammelbände bin ich verewigt; was mir damals eine unumgängliche Investition schien und worauf ich heute als auf eine schändliche Jugendsünde zurückblicke. Wie dem auch sei – das Niveau jener Sammelbände war unter aller Sau; und es schien mir nicht sehr wahrscheinlich, daß das Goethe-Institut im Jahre 1995 irgendwelche fünf Jahre vorher in Selbstbeteiligungsverlagen erschienene Sammelbände mit selbst für den heutigen Geschmack übermäßig dilettantischen Texten an die Universität Kasan verschenkt. Und die meisten meiner Texte, die meine Bekannte als eben erst gelesene wiedererkannte(1), waren überhaupt nie veröffentlicht. Allerdings kursierte sehr vieles von meinem bis dahin Geschriebenen Ende der achtziger Jahre unkontrolliert als Photokopien; und da scheint denn dies und jenes in irgendwelchen Redaktionen gelandet zu sein. Ob es unter meinem Namen veröffentlicht war – konnte sie sich nicht erinnern; als sie das las, kannte sie mich noch gar nicht. Auch die Namen der Literaturzeitschriften oder Sammelbände wußte sie nicht mehr. Sie versprach, sich darum zu kümmern. Fuhr zurück nach Kasan, und vergaß die Sache.

Und ich, der ich somit ohne mein Wissen auf höchster Ebene an einem durch das Goethe-Institut organisierten völkerverständigenden Kulturaustausch teilgenommen hatte – wurde nunmehr von Neugier geplagt: was denn da wohl gewesen ist? Diffus vermutete ich, daß das denn wohl jemand war, der sich – im Gegensatz zu mir – nicht zu schade ist, vor Verlagen Schlange stehend mit Texten zu hausieren und der, da er vor lauter Schlangestehen keine Zeit hat, selbst was zu schreiben, halt fremde Texte nimmt (damals wußte ich noch nicht, wie weit verbreitet solches Verfahren ist: fremde Texte unter eigenem Namen anzubieten; eine mir – wie so vieles andere – nur schwer verständliche Zeiterscheinung).

Dies war also der Grund, warum ich Wert darauf legte, jene Kontaktmöglichkeit mit dem Goethe-Institut zu nutzen.

Der Leiter des Moskauer Goethe-Instituts war denn nicht wenig erstaunt, als nach Abschluß des Treffens einer jener Russen, die am Nebentische mit grimmen Mienen seinen Darlegungen zugehört hatten, sich in fehlerfreiem Deutsch (ja nu, mit starkem moselfränkischem Akzent) an ihn wandte und ihm oben angedeutetes Problem unterbreitete.

Er legte mir nahe, im Goethe-Institut vorbeizugehen und dort Nachforschungen anzustellen. Was ich dann auch versuchte. Und im Goethe-Institut eröffnete man mir, daß das sehr große Mengen an Büchern sind, die an die verschiedenen Universitäten verschenkt werden, und daß man nicht genau Buch führt, was wohin ging.

Ich sah denn davon ab, weitere Nachforschungen anzustellen.

Was das für ein Projekt war, dem jenes Treffen mit dem Goethe-Institut in der Literaturnaya Gaseta gewidmet war – weiß ich nicht mehr; und wenn ich mich recht erinnere, ging das dann auch gar nicht weiter. Aber es war doch ein an kompetenter Stelle und auf entsprechender Ebene ausgearbeitetes Projekt und hätte insofern zweifellos sehr viel beigetragen zu Kulturaustausch und Völkerverständigung.

Und ob ich selbst jenen eigenen, unfreiwilligen, Beitrag zu Kulturaustausch und Völkerverständigung unter meinem eigenen Namen hatte leisten dürfen, oder ob jemand anders den seinen großzügigerweise zur Verfügung gestellt hatte – ist mir bis heute ein Rätsel.

Nachbemerkung:

Der lockere Ton, in dem von dieser Begebenheit berichtet wird, soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß ich solche Verwendung meiner Texte überhaupt nicht schätze und daß ich bestrebt sein werde, derartigen Verwendern, so ich sie erwische, das größtmögliche Maß an Unannehmlichkeiten zu bereiten. Wenn jemand, der am Verhungern ist, ein Butterbrot klaut, so kann ich das verstehen. Hingegen sind mir keine vernünftigen Gründe bekannt, die den Texteklau verzeihlich machen könnten.

(Sonstiges zum Thema Texteklau und Schutz geistigen Eigentums findet man hier)


1) Von den identifizierten Texten kann ich mich sicher nur noch an die "Klapperschlange" und die "Ameisen" erinnern. Aber es war insgesamt eine ganze Menge. Die "Ameisen" haben sich mir aus dem Grunde eingeprägt, weil es mich wunderte, daß nicht mal ein solcher Allerkürzesttext verschmäht wurde
Raymond Zoller

Obigen Text findet man in dem Sammelband
"Einblicke in Abwege"
(Seminar-Verlag Basel)

Einblicke in Abwege