Die Klamurke

Juni 2006 - Januar 2007

Tbilissi, am 22. Juni 2006

Sehr lange schon habe ich hier nichts mehr eingetragen. Eigentlich stehen schon seit längerem stärkere Veränderungen an; aber irgendwie krieg ich die Kurve nicht; oder, anders ausgedrückt, krieg nichts auf die Reihe.

So ist das Leben…

In Deutschland herrscht zur Zeit Fußballweltmeisterschaft. Was im Einzelnen läuft, weiß ich nicht, und es interessiert mich auch nicht. Verstehen kann ich, wenn jemand Spaß daran findet, Fußball zu spielen. Halbwegs verstehen kann ich auch noch, wenn jemand Spaß daran hat, zuzugucken, wie andere Fußball spielen. Halbwegs… Selbst hab ich zum Beispiel eine Schwäche fürs Rudern. Doch hab ich nicht das geringste Interesse daran, zuzugucken, wie andere rudern. Wenn ich zugucke, werde ich höchstens neidisch: daß ich selbst grad keine Gelegenheit habe, zu rudern… Aber vielleicht ist das beim Fußball anders; ich weiß es nicht. Kann aber sein.

Vollständig unverständlich ist mir aber, wie man aus dem Zugucken ein solches Tamtam machen kann, und rätselhaft ist mir, wie ganze Völkerstämme ihr Wohl und Wehe davon abhängig machen, wie eine Mannschaft, welche aus irgendwelchen Gründen als „Nationalmannschaft“ des Landes definiert ist, in dem sie ihren Wohnsitz haben, mit anderen Mannschaften spielt; wie brave Bürger, die selbst nie einen Ball in der Hand hatten, ihr Selbstwertgefühl von dem Spiel der Nationalmannschaft jenes Landes abhängig machen, welches ihnen ihren Personalausweis ausgestellt hat. Vor ein paar Tagen las ich gar auf irgendeiner deutschen Nachrichtenseite, daß man in Deutschland hofft, mit Hilfe des Fußballs die wachsende Krise zu bewältigen; sogar die deutsche Bundeskanzlerin wurde mit zum Schrei weit geöffneten Munde beim Fußballgucken fotografiert, und es heißt, daß sie durch ihre Wandlung zum Fußballfan sehr viel an Popularität gewonnen hat. Ja nu, wenn das Volks Wert darauf legt, eine solch fußballfanatische Bundeskanzlerin zu haben, wurde durch solche Wandlung natürlich viel gewonnen.

Für mich aber ist all dies rätselhaft und viel zu hoch; und deshalb lassen wir dieses Thema besser sein und wenden uns verständlicheren Dingen zu.

Mehrere Internetpräsenzen (oder wie man das nennen will) habe ich seit dem letzten Eintrag im Schoße der Klamurke eröffnet, und bestehendes hab ich umgekrempelt. Eröffnet habe ich die Internetpräsenz des Literaturalmanachs «На холмах Грузии», welcher Arbeiten von in Georgien lebenden russischsprachigen Autoren veröffentlicht (darunter auch von mir). Bislang alles nur in Russisch; vielleicht werde ich später dies oder jenes auch ins Deutsche übersetzen.

Die schon vor längerem eröffnete Site „Reliquie“ wurde umgekrempelt und erweitert; das Motto lautet nun: „Konkrete Einzelschicksale, wie sie in den Wirbeln des Zusammenfließens der sowjetischen und postsowjetischen Absurditäten mit den Absurditäten der westlichen Wohlstandsgesellschaft durchgeschüttelt werden“.

Präsentation

Sonst? Vor einer Woche war im Schriftstellerverband die Präsentation der dritten Nummer von «На холмах Грузии». Verhältnismäßig groß aufgezogen, mit Vertretern verschiedener Botschaften (darunter natürlich Rußland); insgesamt gute Atmosphäre; was besonders angenehm auffiel im Kontrast zu den künstlich angefachten Spannungen zwischen Georgien und Rußland; man spürte, daß dieses ganze politische Hickehacke dem jahrhundertealten kulturellen, menschlichen Miteinander letztendlich nichts anhaben kann.

So weit mal für heute…

Tbilissi, den 27. November 2006

Schon wieder sehr lange nichts eingetragen. Was damit zu tun hat, daß ich selbst nicht so recht wußte, was los ist und was zu tun ist und somit auch nicht wußte, was man schreiben sollte.

Laut ursprünglichen Plänen sollte ich schon seit ein paar Monaten in Moskau leben. Doch ich lebe noch immer in Tbilissi und habe aus einer Reihe von Gründen (unter anderem, weil die vorgesehene Wohnsituation sich anders entwickelte als, eben, vorgesehen) jenen Umzug auf unbestimmte Zeit verschoben.

Da ich der Nationalität nach nicht Georgier bin, sondern Luxemburger (mich persönlich interessiert dieser Nationalitätenklimbim eigentlich nicht, und ich kenn mich da auch nicht aus) betreffen diese ganzen Absurditäten, die in den Beziehungen zwischen Rußland und Georgien seit dem letzten Eintrag ausgebrochen sind, mich – rein offiziell – eigentlich nicht; aber ich finde das doch recht unappetitlich und hätte, ehrlich g’sagt, solche Idiotie von der russischen Regierung nicht erwartet (als ob es ihnen darauf ankäme, sich auf Biegen und Brechen lächerlich zu machen; viel anderes dürften sie mit dieser Hexenjagd auf Georgier auch wohl kaum erreichen. Von Putin hatte ich eigentlich eher eine positive Meinung, und hab sie teilweise auch jetzt noch; aber ich versteh aufteufelkommraus nicht, was das soll). Die Mitarbeiter der russischen Botschaft, die bei der im letzten Eintrag erwähnten Veranstaltung zugegen waren, dürften ihre Sichtweise inzwischen kaum geändert haben (ich habe seitdem keinen von ihnen getroffen; aber ich vermute, daß sie sie nicht geändert haben); und auch die russische Bevölkerung hat zu großen Teilen ihre Einwände gegen diesen Schwachsinn; doch die Bevölkerung wird – wie weltweit bei Bevölkerungen üblich – ja nicht gefragt.

Um in allgemeinen Umrissen festzuhalten, was in den letzten Monaten so gelaufen oder nicht gelaufen ist, seien Auszüge aus einem am 14. November geschriebenen Brief wiedergegeben, darin ich einziges zusammenfasse.

Also:

***

[…]

das Gefühl, nichts zu können, ist auch mir sehr vertraut; und ganz besonders, eben, in den letzten Monaten. Und wenn ich so zurückblicke und, eingesprenkelt in Leere und Stagnation, vereinzelte durch mich vollbrachte halbwegs vernünftige Sachen entdecke, so wundert das mich, und ich frag mich, wie ich das denn wohl hingekriegt habe.

Warum Georgien für mich eine Sackgasse ist? Georgien kann da eigentlich nichts dafür. Ich fühl mich, ganz allgemein, in einer Sackgasse; und da ich in Georgien bin, wird dieses Sackgassengefühl halt auch mit der Umgebung in Beziehung gesetzt.

Es gibt allerdings auch objektive Gründe. Zum einen die gescheiterten oder eingeschlafenen Projekte (die nicht durch die Schuld der Georgier scheiterten oder einschliefen – eben die Georgier zeigten sich bei all diesen Abenteuern in ganz besonders vorteilhaftem Lichte – sondern infolge Verantwortungslosigkeit, teilweise auch Gleichgültigkeit von Leuten, mit denen wir im Westen zu tun hatten). Das bedrückt, wie ich merke. – Dann gelte ich hier in letzter Zeit als Schriftsteller. Das ist natürlich gut: immerhin ein Status oder etwas Statusähnliches; und zudem ist Schreiben eines von dem Wenigen, was ich tatsächlich so halbwegs beherrsche. Aber: ich bin – wenn man an dieser Bezeichnung festhalten will – ein russischsprachiger Schriftsteller (wenn ich mich zusätzlich noch als deutschsprachigen Schriftsteller bezeichnen würde, würden die Deutschen nur lachen: was bist denn du für ein Schriftsteller? Keine einzige richtige Veröffentlichung, keinen einzigen Literaturpreis hast du vorzuweisen; und nicht einmal Germanistik hast du studiert…). In Georgien spricht man aber Georgisch, und Russisch wird – neben all den noch vorhandenen Zweisprachigen – für viele zunehmend zu einer Fremdsprache. In Tbilissi findet man diese Zweisprachigen noch in Hülle und Fülle; wenn man sich aber in die Provinz verirrt – wozu man nicht sehr weit fahren muß – ist Russisch zur Verständigung nur noch bedingt brauchbar: sehr viele verstehen das nicht einmal; geschweige, daß sie es sprechen könnten. Und durch die sporadisch aufbrechenden – und von Mal zu Mal stärker aufbrechenden – Spannungen zwischen Georgien und Rußland wird das mit der russischsprachigen Schriftstellerei nur noch immer komplizierter. (In letzter Zeit war ich so demoralisiert, daß ich kaum noch den Kontakt pflegte mit meinen russischsprachigen „Schriftstellerkollegen“; war schon seit Monaten nicht mehr im Schriftstellerverband und hab keine Ahnung, was da – besonders nach letzten Russisch-Georgischen Krise – in der russischsprachigen Sektion so läuft).

Und vieles andere mehr…

Aber ich hab mich, grad gestern war’s, entschlossen: Ich bleib erst mal in Georgien. Basta. Ursprünglich gehegte Pläne, Ende November eine Reise in das einstmals „heimische“ Mitteleuropa zu unternehmen und ein paar Leute zu besuchen – wurden verworfen: unnötige Hektik, die nur Geld kostet. Besser, ich mach es mir hier gemütlich, reiß mich zusammen und versuch mal, in aller Ruhe in letzter Zeit fallengelassene oder liegengelassene Fäden wieder aufzugreifen und zusammenzubringen. Herumreisen kann man, wenn man genügend Geld hat; und letzteres ist bei mir nun einmal nicht der Fall; und da wird das Reisen zu einer recht nervigen Angelegenheit.

Gestern habe ich dann, nach sehr langer Zeit, erstmals mal wieder ein Georgisch-Lehrbuch hervorgeholt.

Berlin? Berlin hat den Nachteil, daß es in Deutschland liegt, dem Land des undurchdringlichen Paragraphendschungels, dem Land, in dem man von juristischen und sonstigen Fettnäpfchen und Fußangeln und Fallstricken umgeben ist; dem Land der Abmahnungen und sonstiger Leckerbissen, in dem man sich kaum noch vernünftig bewegen kann… Vor ein paar Wochen las ich in deutschen Nachrichten, daß einer Frau der Prozeß gemacht wurde, weil sie über E-Bay aus ihren eigenen Beständen gebrauchte Kleider und sonstiges gebrauchte Zeugs verkauft und dabei irgendeine Höchstmenge – die ihr vermutlich eh nicht bekannt war – geringfügig überschritten hatte. Das fand man aber offenbar ganz normal, daß diese Frau vor Gericht zitiert wurde. Wenig später wurde in den deutschsprachigen Nachrichten das Problem der sich ausbreitenden „neuen Armut“ besprochen, und auch davon, daß die Politiker sich überlegen, was dagegen zu tun sei. Auch das fand man normal. Und niemand kam auf den Gedanken, daß das bei diesem Paragraphengewirr und bei diesem Pedantismus, mit dem Leute aus nichtigen Gründen vor Gericht zitiert werden, gar nicht anders sein kann: Statt sich selbst zu helfen, hängen die Leute zunehmend herum, zusammengekauert wie verschreckte Hasen, und trauen sich nicht, sich zu bewegen. – Wenn man etwas tun will gegen die Armut, soll man erst mal diese unsinnigen Fettnäpfchen und Fußangeln entfernen, damit die Leute sich wieder bewegen können. (doch dann entsteht natürlich das Problem, die für die Fettnäpfchen zuständigen Beamten und Juristen woanders unterzubringen; also wohl nicht ganz das Richtige)

Und so weiter…

Der langen Rede kurzer Sinn: In Deutschland könnte ich mich höchstens kurzfristig zu Besuch aufhalten; ein regulärer Aufenthalt würde für mich unter Umständen in einen regulären Aufenthalt in der Klapsmühle einmünden…

Und überhaupt fühl ich mich in Europa unwohl; ich merk das sofort, wenn ich europäischen Boden betrete. Warum – weiß ich nicht; aber das ist so. [und vermutlich nicht nur, weil ich für die wohlgeordneten europäischen Kriterien aus europäischer Sicht nicht recht einzuordnen bin; oder höchstens: als ganz normale gescheiterte Existenz (nicht etwa Nyeudachnik; das Wesen der Nyeudachnichestvo bleibt der durchschnittlichen europäischen Mentalität ein Buch mit sieben Siegeln…)]

Übrigens hab ich vor ein paar Tagen eine ganz nette Seite in die Klamurke eingefügt: Der politische Diskurs http://klamurke.com/Sprache/politischer_Diskurs.htm. Den Anstoß dazu verdanke ich einer Bekannten, die eine Doktorarbeit schreibt zu selbigem Thema und die es nun sehr lustig findet, was ich alles selbst dazu zu sagen weiß (ohne sie wäre ich gar nicht dazu gekommen, mir so dezidiert Gedanken darüber zu machen)

[…]

So weit mal dies.

Eben.

Mittwoch, 27. Dezember 2006

Meine Schreibmoral ist unter aller Sau.

Ehrlich.

Und wäre nicht Irina, die mich mit ihren Briefen dazu nötigt, gelegentlich dies und jenes schriftlich auszuformulieren, so würde ich noch viel weniger schreiben. Eben durch ihre Treibkraft kam oben erwähnte Seite zum „politischen Diskurs“ zustande; und der bisherige Inhalt der gestern angelegten Seite „Was einen so herumtreibt…“ besteht aus nur ganz leicht überarbeiteten Briefen, die ich – eben in diesen Tagen erst – an sie geschrieben habe [und hätte sie nicht darauf bestanden, aus Deutschlerngründen den in Russisch begonnenen Briefwechsel in Deutsch weiterzuführen, so hätte ich das alles in Russisch geschrieben; und aus Faulheitsgründen hätte ich es sicher nie ins Deutsche übersetzt, und die deutsche Klamurke wäre davon verschont geblieben (wie ich überhaupt nur deshalb auf den Gedanken kam, das in die Klamurke zu tun, weil det alles schon so schön fertig war… So tief sind wir gesunken)].

Gestern veröffentlichte ich auch noch die eben erst geschriebene „Nashornjagd“. Das schrieb ich einfach so. Gibt’s auch noch.

***

Redaktion "Na cholmach Grusii" - Tamara
Redaktion "Na cholmach Grusii" - Aidinov

Vor kurzem war im Schriftstellerverband die Präsentation der vierten Ausgabe von „Na cholmach Grusii“, dem Almanach also, in welchem in Georgien lebende russischsprachige Schriftsteller zu Wort kommen. Daß bei den extremen Komplikationen in den Beziehungen zwischen Rußland und Georgien diese Ausgabe möglich wurde – wunderte mich sehr. Und nicht nur mich wunderte es.

Aber es wurde möglich. Von der russischen Botschaft war diesmal allerdings niemand zugegen. Aidinov (der Chefredakteur) sagte in seiner Ansprache, zur Zeit seien ganze zwei russische Diplomaten in der Botschaft tätig; und die hätten alle Hände voll zu tun und kaum eine freie Minute. – Möglich, daß hier der Grund lag, daß niemand gekommen war; vielleicht lag der Grund auch woanders; doch da die Ausgabe ganz offen über die russische Botschaft finanziert wurde, wird es wohl so sein.

Mit subversiver Unterwanderung hat diese russische Finanzierung eh nix zu tun; das ist einfach eine ganz natürliche Fortsetzung eines jahrhundertealten natürlichen kulturellen, menschlichen Miteinander. Und bei dieser Präsentation waren, wie auch letztes Mal, nicht wenige Leute zugegen, die in den georgischen Regierungsstrukturen tätig sind (und auch einige Autoren des Almanach verdienen im gehobenen Staatsdienst ihre Brötchen; hab schon gedacht – da ich zur Zeit selbst so wenig schreibe – einen von ihnen, der mir hierzu besonders geeignet scheint, ins Deutsche zu übersetzen).

Die Präsentation selbst war diesmal etwas lahm. Was, unter anderem, vielleicht auch mit der Kälte zu tun hat (irgendwelche Mittel, die Behausung der Georgischen Schriftsteller auch noch zu heizen, gibt es natürlich nicht); doch, wie dem auch sei: es war recht lahm.

Die Ausgabe war zum Moment der Präsentation noch nicht aus der Druckerei, da die Druckerei wegen eines Stromausfalls nicht termingerecht ausliefern konnte. Inzwischen ist sie aus der Druckerei; ich könnte mein Exemplar oder meine Exemplare in der Redaktion abholen. Was ich aber noch nicht getan habe, da ich gleichzeitig auch das Material auf CD haben will (muß ich ja nun alles ins Netz stellen); doch da die Sekretärin mal Grippe hat, mal sonstwie verhindert ist, wurde diese CD noch nicht gebrannt (nebenstehend dafür ein Foto von Tamara; der Sekretärin also, die mir die CD noch nicht gebrannt hat, sowie auch ein solches von Michail Aidinov, dem Chefredakteur).

***

Das wär mal dies.

Tbilissi, am 16. Januar 2007

Man schleppt sich so dahin; nich?

Eine Woche ist's her, da verfaßte und veröffentlichte ich den anfänglichen Anfang einer anfänglichen Skizze zum „Genitiv der Verneinung“ im Russischen: um endlich mal anzufangen. Denn anfangen damit wollte ich schon seit langem, da das Thema mich interessiert (es gibt doch tatsächlich Dinge, die mir in meinem derzeitigen Stumpfsinn noch einen Ansatz von Interesse ablocken können). Seitdem natürlich nichts mehr daran gearbeitet. Keinen Streich.

Das Sprechen über Dinge, die nicht da sind, mit denen etwas nicht geschieht oder bei denen man sich nicht sicher ist, in welchem Sinne sie vorhanden sind, hat, bei Lichte betrachtet, etwas durchaus interessantes an sich (natürlich nur bei Lichte betrachtet; nicht bei Lichte betrachtet isses, wie alles übrige auch, völlig uninteressant; da ist alles Grau in Grau). Gelegentlich vergnüge ich mich mit dem nicht vorhandenen oder unsicher vorhandenen in belletristischer Form (siehe etwa „Hübbaggio“; „Der Löwe“; „Ermahnung“ und vieles andere mehr); aber auch dessen essayistische Behandlung ist nicht ohne Reiz; vorausgesetzt, man hat genügend Kraft und Ruhe, all diesem Nichtvorhandenen gezielt und ungestört seine Zeit zu widmen; doch letzteres ist in meinem Falle, leider, nicht vorhanden.

Da ich ein Mensch bin ohne jede Bildung und Bildungsbeflissenheit und da ich zudem die Eigenart habe, mir die Dinge – die vorhandenen wie die nicht vorhandenen – unbekümmert um alle Vorgaben, „wie man sie zu sehen hat“, von solchen Blickwinkeln aus anschaue, von wo aus sie mir übersichtlich und verständlich werden – kümmere ich mich da wenig bis gar nicht um Axiome; ich guck einfach hin und versuch, das solcherart erfaßte nach bestem Wissen & Gewissen zu formulieren; aus welchem Grunde det alles gar wenig mit dem zu tun hat, was üblich ist. Aber det macht ja nix; Hauptsache, es ist für diesen oder jenen, diese oder jene verständlich. Eben für diese und jene sowie für mich selbst schreib ich das. So ich es schreibe.

Die russische Art, über nicht vorhandenes, nicht behandeltes zu sprechen, ist mir von jeher interessant (ja nu; genauer: seit ich mich lebendig und unbekümmert im Reiche dieser Sprache bewege; vorher waren det irgendwelche grammatikalische Regeln); und so langsam wird mir auch bewußt, warum mir das interessant ist; und wenn ich darüber schreibe, wird es mir noch bewußter. So ich weiter darüber schreibe.

Zwischendurch les ich – nach jahrelanger Abstinenz – in der „Egomorphose der Sprache“ von Witzenmann.

Das ist sehr schmerzhaft.

Ich stieß auf Witzenmann. und begann, mich mit seinen Arbeiten zu beschäftigen, weil diese Arbeiten in meinem eigenen, diffusen Suchen einen gewissen Widerhall fanden; anders ausgedrückt: Weil ich mich verstanden fühlte. Doch leider wurden diese Arbeiten in verschiedenen Kreisen in dumpf-sektiererischer Weise aufgegriffen; und ich selbst hatte im Weiteren immer größere Mühe, das zu lesen, weil die Sprache von Witzenmann. mich zu sehr an den daraus gewobenen Jargon seiner Jünger erinnerte und der hieraus resultierende Widerwille mich beim Lesen stört.

Und wenn ich in dieser „Egomorphose“ lese, wird mir bewußt, wie sehr das, was ich da so schreibe, nur Stückwerk ist; wieviel Arbeit es noch bräuchte, das zu beschreibende in seiner Art richtig zu erfassen; doch hierzu bräuchte es verhältnismäßig ruhige und abgesicherte Lebensumstände, welchselbige mir wohl nie vergönnt sein werden (wäre, andersrum, wohl auch langweilig, wenn alles ruhig wäre und abgesichert; nich?); und auch den Widerwillen gegen das um diese „Egomorphose“ und sonstiges sich herumrankende Sektierertum werde ich wohl nicht so leicht los.

Bleiben wir denn beim Stückwerk… (so überhaupt)

Prost.






Frühere Tbilissi-NotizenZur mittleurpäischen Zwischendurch-Odyssee

Raymond Zoller