Die Klamurke Soziales

Reise nach Sachkhere

Kurzer illustrierter Bericht über eine Reise nach Sachkhere im September 2003, eigentlich nichts weiter als leicht aktualisierte Fassung von damals in kleinstem Kreise verbreitetem illustriertem Arbeitsmaterial, welchselbiges seinerseits die leicht modifizierte Fassung eines nicht illustrierten Briefes an einen Mitstreiter darstellt. Nichts weltbewegendes und das meiste davon nicht einmal mehr aktuell; doch wat soll's: vielleicht doch interessant... Für Erläuterungen und Aktualisierungen wurde auf die sehr bequeme Einrichtung der Fußnoten zurückgegriffen.

Landschaft Sachkhere

Zu meinem Treffen mit Timur[1] in Sachkhere.

Das Gespräch über das in Kutaissi seiner Vollendung harrende Aggregat[2] – dem meine Reise eigentlich gegolten hatte – war nur kurz: Die nächsten anderthalb Monate wird er keine Zeit haben, sich darum zu kümmern; das Gerät ist noch nicht fertig; die Arbeit ging – unter anderem, weil ich selbst nahegelegt hatte, sich aufgrund der verworrenen Situation nicht allzu sehr zu beeilen; aber auch noch aus anderen Gründen – nur auf Sparflamme weiter; wie weit es genau ist, weiß er selbst nicht. Wenn Irakli[3] und ich ohne ihn nach Kutaissi fahren würden, kämen wir gar nicht an das Gerät ran; er hat das selbst über seine Kanäle eingefädelt (sonst wäre alles viel teurer worden) und müßte uns erst mit den betreffenden Mitarbeitern persönlich bekannt machen. Doch zur Zeit kann er nicht weg. – Durfte dafür selbst an seinem stressigen Alltag etwas teilhaben. Ich hätte auch noch viel länger teilhaben können; bloß sprechen die Leute dort kaum Russisch; und da ich es in dieser ganzen Zeit versäumt habe, Georgisch zu lernen und es nicht einmal verstehe, wäre det witzlos; und zudem habe ich ja in Tbilisi zu tun.

Meine Idee mit der Sachkhere-Internetseite[4] fand er gut. Er meint, man solle das so aufbauen: Seit jenem Erdebeben Anfang der neunziger Jahre ist in Sachkhere alles tot; von allen vergessen, vegetiert es vor sich hin und hat ohne Hilfe von außerhalb kaum eine Chance, auf die Beine zu kommen. – Als vorübergehendes Wahrzeichen würde ich jene seit dem Erdbeben sinnlos in der Luft hängende Seilbahnkabine nehmen (kam leider nicht dazu, sie zu fotografieren; kann man aber jederzeit nachholen). Ein gutes Wahrzeichen natürlich auch das angefangene und wegen Finanzmangels liegengelassene Kraftwerk.[5]

Was wir mit der Internetseite wollen? Mir kam ein vermessener Gedanke: Sicher über die Hälfte des Internets besteht aus völlig unsinnigen und niemanden interessierenden Homepages. Warum sollen denn nicht auch wir das Recht haben, eine Seite aufzutun, ohne über Sinn und Zweck nachzudenken? Und wie Otto Normalverbraucher auf seiner Homepage aufzeigt: das bin ich, das ist mein Haus, das ist mein Hund Bello und meine Frau Marianne – so zeigen wir denn: Das ist die bei dem Erdbeben vor über zehn Jahren zum Stillstand gekommene Seilbahnkabine; das ist Timur, während er sich bemüht, daß zwischen einer Siedlung und den von ihr benutzten Weide-und Futtergründen ein begeh- und befahrbarer Weg zustandekommt; und so weiter. Den Ansprüchen nach also ausgehen von einer ganz normalen idiotischen und unsinnigen Homepage; und sollte es uns gelingen, es besser zu machen und die Leute zu interessieren – umso besser... Wasletzteres umso mehr möglich sein könnte, als doch immerhin eine gewisse, wennauch langsame Entwicklung da ist. Und verbunden iss det alles ja auch mit unserem Strömungsaggregat, mit dem sich zur Humoreske entwickelt habenden schweizerisch-georgischen Gemeinschaftsprojekt; alles in allem – nicht uninteressant; mit der textlichen Gestaltung wird man wohl nicht allzuviel Mühe haben; und professionelle Fotografen hab ich hier genügend an der Hand (selbst bin ich als Fotograf eher unterm Durchschnitt)

Dies nur so ein vermessener Gedanke zu der Internetseiten-Idee.

Statt das Aggregat-Problem zu klären, begleitete ich Timur und zwei seiner Mitarbeiter denn zwei Tage lang auf recht stressigen Touren durch das Sachkherer Gebiet; allein vom Fahren her eine durchaus mühsame Angelegenheit. Die Dörfer und Siedlungen liegen weit auseinander; und die Wege, die sie untereinander verbinden, sind stellenweise nur zu Pferd oder mit Geländewagen zu bewältigen. Wir fuhren mit dem Jeep Cherokee (den kennt ihr, glaub ich, nicht; als ihr hier wart, war der grad kaputt; wir benutzten damals die Wolga und den russischen Jeep; möglich aber, daß ich mich irre). Timur fuhr selbst; Vitali kümmerte sich, am Steuer der Wolga in wegsamerem Gebiete, um andere Aufgaben.

Während eines Treffens in einer weit abgelegenen Tischlerei, wo man in der spärlich bemessenen stromversorgten Zeit recht ansehnliches Massivholz-Mobiliar herstellt und die Bevölkerung der gesamten Siedlung zusammengeströmt war, mußte auch ich, nachdem Timur sich mit den Anwesenden in dem mir unverständlichen Georgisch über anstehende Probleme auseinandergesetzt hatte, eine kurze Ansprache halten. Ich erzählte ihnen in Russisch von unserem gemeinsamen Bemühen, die Probleme mit der Energieversorgung zu lösen; und Timur übersetzte das alles ins Georgische. Das heißt, was er genau sagte, weiß ich nicht; ich vermute, daß genau das, was die Leute von diesem unerwartet aufgetauchten ausländischen Gaste hören wollten; und allein die Tatsache, daß ein solcher in Begleitung von Timur auf der Versammlung erschienen war, wurde sichtlich positiv aufgenommen. Soll Timur denn übersetzen, was er für nötig findet; iss ja nicht Dolmetscher, sondern Politiker.

Bei einer dieser Exkursionen hab ich ausgiebig geknipst; im Weiteren [nach den Fußnoten] denn in erster Linie Kommentare zu den anhängenden Fotos.


[1] Timur Churzidse; vertrat damals noch im Georgischen Parlament das Gebiet Sachkhere; einer der wichtigsten Aktivisten beim Bau des Schweizer Strömungsaggregat-Prototypen (siehe "Von Strömungsaggregaten und Gasmaskenfiltern"). Durch das Strömungsaggregat selbst wie auch durch eine weit gefächerte Zusammenarbeit mit dem Schweizer Erfinder versprachen wir uns damals auch einen gewissen Aufschwung für jenes Gebiet. – Da Timur inzwischen nicht mehr im Georgischen Parlamente des Gebiet Sachkhere vertritt und da schon vorher einiges schiefgelaufen ist, das bei klein wenig gutem Willen hätte geradelaufen können, iss det jetzt alles nur noch graue Theorie.
[2] Prototyp der von S. Tabatadse stammenden Weiterentwicklung eben jenes Strömungsaggregats.
Irakli Grischaschwili[3] Irakli Grischaschwili. Entwickelte den bei den Strömungsaggregaten und Gasmaskenfiltern erwähnten Bremsbelag und das Filtermaterial.
Nachbemerkung Juni 2012: Am 5. Juni 2012 ist Irakli Grischschwili an den Folgen eines im Sommer 2011 ausgebrochenen Krebsleidens verstorben. Ob es die Resignation war, die ihn in den Krebs reintrieb? Wäre möglich. Dem sozialen Status nach gehörte er – neben Timur – zu den "Arrivierten" in unserem "Verein". Gehobener Polizeidienst; wo er sich aufgrund seiner notorischen Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit sowieso nur Ärger einhandelte, und auch nicht das war, was er brauchte.
Hätte sich mit seinen Erfindungen und seinen umfassenden Fähigkeiten nützlich machen können. Aber die Umstände ließen ihn nicht.
Und nun ist er tot.
[4] Solche Pläne verfolgten wir damals; doch nix davon kam zustande. Das war noch vor Erscheinen der Netz-Klamurke, in die wir dann später, als nichts mehr zu retten war, verstreute Trümmer von den Berichten und von der Dokumentation nach und nach hineinverfrachteten.
[5] Ein aus privaten Mitteln angefangenes und aus Finanzmangel liegengelassenes sechsstufiges Wasserkraftwerk. Zur Vollendung der angefangenen ersten Stufe hätten damals „lumpige“ 50.000 Dollar gefehlt. Fotos sind noch vorhanden; findet man hier.




FlugpisteNebenstehendes Foto zeigt eine ehemalige Flugpiste: Zur Sowjetzeit landeten und starteten hier kleine Passagiermaschinen und sorgten für die Verbindung mit Tbilisi, Kutaissi usw... Jetzt ist das sehr gutes Weide-und Futterland. Die Siedlung, welche dieses Weide-und Futterland nutzt, liegt zur Rechten; auf dem Foto nicht zu sehen und eh in einer Senke verborgen. Der Verkehr zwischen der Siedlung und dem von ihr benutzten Weide-und Futterland ist recht umständlich und schwierig, da das Gelände von einem Gewirr aus Bächen und Rinnsalen und Morast durchzogen ist.
ehemalige Flugpiste als Kuhweide



Auf der ehemaligen Flugpiste weidende Kühe
Bach am Rande der einstigen Flugpiste

Parallel zur ehemaligen Flugpiste fließender Bach. Links – Timur Churzidse

Wegbereitung in unwegsamem Gelände

Der Mann jenseits des Baches ist damit beschäftigt, mit Hilfe eines Bulldozers über einen hinter ihm hervorschimmernden weiteren Bach einen Übergang zu schaffen. Näheres weiter unten.
Rohrverlegung

Näheres zu der Brücke rechts im Hintergrund bei Kommentar zu dem nächsten Foto. Der Bulldozer in der Mitte verlegt ein Rohr, durch welches eines dieser der sich zwischen dem Bach im Vordergrund und dem Fluß im Hintergrund sich dahinziehenden Rinnsale passierbar gemacht werden soll.
Brücke Die weiter oben erwähnte Brücke in der sie umgebenden Landschaft. Errichtet wurde sie von Timur und größtenteils unter Rückgriff auf private Mittel. Timur sagt, sie sei stabil genug, um einen PKW zu tragen. Sehr gut. Doch bis es so weit ist, daß ein nicht geländegängiger PKW selbiger Brücke sein Gewicht aufbürden kann, gibt's noch viel zu tun. – Der Bulldozer – einer von zweien in ganz Sachkhere – mit der von ihm geschaffenen neuen Passage liegt hinter meinem Rücken: Der von der Brücke führende Damm macht einen rechtwinkligen Knick zu der Stelle, von wo ich das Foto aufnahm, und nach einer weiteren Kurve geht's dann zu jenem neu geschaffenen Übergang.
Verlegtes Rohr wird mit Erde bedeckt

Das Rohr, dessen Verlegung wir auf vorletztem Foto sehen, wird mit Erde bedeckt.
Den auf den obigen Fotos im Vordergrund sichtbaren Bach überquerten wir über eine aus spärlichen glitschigen Steinen bestehende Furt.
Öltankpause über verlegtem Rohr

Öltankpause über soeben verlegtem und mit Erde bedecktem Rohr. Da kann man nun trockenen Fußes rüber.

In Großformat findet man obige Bilder, nebst einigen weiteren Sachkhere-Fotos, hier.




en español

Nachtrag Juni 2010:

Alles längst nicht mehr aktuell; ich möchte mich angesichts der Aussichtslosigkeit, gegen dumpfe Mauern anzurennen, auch weiter nicht mehr drum kümmern. Laß es aber online: als Erinnerung an Ansätze, die bei ganz klein wenig Offenheit und gutem Willen sich hätten weiterentwickeln lassen und die möglicherweise einiges hätten bewirken können. Da aber das Volks, von dessen Offenheit und gutem Willen die Fortsetzung abhing, es - wie fast schon üblich - bei Reden über Offenheit und guten Willen bewenden ließ, war es nicht möglich, es weiterentwickeln. Ich habe, gleich einigen wenigen anderen, getan, was ich konnte; weiter tu ich nix mehr.

Allen noch eine gute Zeit wünschend

Raymond

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Nachtrag Januar 2012

Inzwischen hat der aus Sachkhere stammende Bidsina Iwanischwili sich dortselbst wieder niedergelassen und wurde aktiv. Iwanischwili hat es in den postsowjetischen Wirren zum Multimilliardär gebracht und ist der einzige mir bekannte "Superreiche" postsowjetischer Herkunft, und überhaupt, scheint's, weltweit der einzige "Superreiche", der bei seinem Reichtum anständig bleibt. Wenn man ihn nicht zu sehr dabei stört, wird nun er in Sachkhere eine funktionierende Infrastruktur schaffen; und wären wir nicht durch unsere in Verschlafenheit und Ungereimtheit erstickenden Umgebung steckengeblieben, so würden wir ihm nun vielleicht dabei helfen. - Zu Bidsina Iwanischwili siehe etwa hier.


Weitere Berichte aus dem Umfeld der Abenteuer mit diesem Aggregat findet man:
- falls man bereits in der Rahmenstruktur ist: Weiterblättern über das Verzeichnis im linken Rahmen in der Abteilung „Absurde Abenteuer mit Strömungsaggregaten“
- falls man von außen auf dieser isolierten Seite landete: Hier kommt man in die Rahmenstruktur (oder frames) mit erwähntem Verzeichnis; Abteilung „Absurde Abenteuer mit Strömungsaggregaten“

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Bei YouTube findet man einen Zusammenschnitt von Videoaufzeichnungen, die während der Arbeit – von den ersten Anfängen der Herstellung in der Werkhalle bis hin zu den Probefahrten auf dem See in der Nähe von Tbilissi – zustandekamen. Aufsehenerregendes ist nicht darunter; aber man sieht, daß real gearbeitet wurde und daß man zum Schluß mit einem von besagtem Aggregat angetriebenen Polizeiboot über den See schipperte. Und sehr viel Georgisch hört man, klein wenig Russisch und sogar ein paar Sätze Deutsch.

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Über eine verspätete lustige Erinnerung an die mögliche kriminalistische Verwendung oben erwähnten Filtermaterials kann man hier nachlesen: Kriminelle Wattestäbchen

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Die wichtigsten der hier veröffentlichten Texte zu den Abenteuern mit dem Strömungsaggregat wurden in einer PDF-Datei zusammengefaßt, die man hier anschauen und/oder herunterladen kann.

© Raymond Zoller

 



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